Klimaaktivisten 4

Ist für den Umweltschutz eigentlich jedes Mittel recht?

Am Freitag streiken sie in Bern wieder, die Klimaaktivisten. Unter ihnen auch Tina Hitzblech und Daniel Worbis. Natürlich wolle man friedlich protestieren, sagen die beiden. Trotzdem hegen sie Sympathien mit der radikalen Bewegung Extinction Rebellion. Also wie jetzt?

Nur sieben Jahre! Das ist die alarmierende Zahl, die im Hinterkopf von Klimaaktivistinnen und -aktivisten derzeit rot aufleuchtet. «Wenn wir unseren Emissionen nicht drastisch reduzieren, dann ist der Umfang an CO2 , der uns im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens noch zusteht, in sieben Jahren aufgebraucht. Wir müssen jetzt auf die Strasse gehen, sonst sind Politik und Gesellschaft zu langsam», sagt Tina Hitzblech. Sie und Daniel Worbis von der Klimastreik-Bewegung werden am Freitag mit vielen Gleichgesinnten erneut lautstark demonstrieren. Für die engagierte Schülerin ist ihr Einsatz fast eine Selbstverständlichkeit. Die Fakten zum Klimawandel haben sie überzeugt. «Wenn ich das alles weiss und Zeit habe, mich zu engagieren, dann kann ich gar nicht anders.» Worbis, der bis zum letzten Jahr vor allem darauf vertraute, dass jede Person selbst ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten sollte, zog die breitaufgestellte Bewegung zunehmend an. Für ihn ist das Demokratie von unten. «Wir setzen uns nicht nur für Klimaschutz, sondern auch für mehr soziale Gerechtigkeit, Feminismus, Demokratie ein.» Diese Punkte stehen nun in einem Aktionsplan und dem Manifest des Klimastreiks, entstanden in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten. Es gründen sich immer mehr lokale Gruppen und Netzwerke, man denkt dezentral.

Politik ist kein Thema

Corona hat 2020 das Klimathema von der Agenda gefegt. Das ärgert die beiden Aktivisten natürlich. «Wieder ein verlorenes Jahr für das Klima», so Hitzblech. Dennoch zieht sie ein positives Feedback: «Corona zeigt uns, dass Gesellschaft und Politik sich durchaus verändern können, wenn sie wollen – und das innert Wochen. Ausserdem wurde deutlich, dass die Politik fähig ist, dem Rat der Wisenschaft zu folgen.» Solche faktenbasierten Entscheidungen würden sich die Aktivisten auch beim Klima wünschen. Alle Parteien sollten in ihren Augen die Dringlichkeit endlich erkennen. Der Klimastreik will, dass die Klimaveränderung schnellstens als Krise angegangen wird und pocht darauf, dass die Politik ihre zugesagten Klimaziele auch einhält. Ihre Forderungen tönen fast nach einem Parteiprogramm. Hitzblech und Worbis schmunzeln. Trotz hehren Absichten wollen sie persönlich nicht in die Politik gehen, eher eine Kraft ausserhalb des Parlamentes bleiben. Einfach grün wählen, geht ihnen nicht weit genug. Worbis schätzt aber: «All die Jugendlichen, die heute demonstrieren, könnten später vielleicht die Grünen ganz neu gestalten und Politikerinnen werden. Es geht beides.» Dass ihre Protestbewegung vor allem von Jugendlichen aus einkommensstarken Haushalten gespeist wird, bestreiten beide nicht. Dies sei ein Problem, das man auch im Bildungssystem angehen müsse.

Mehr Empathie für Menschen als für Tiere

Ehrlich gibt Hitzblech zu, dass der Streik auch aus Eigennutz resultiert. Sie möchte später genauso wenig mit der Klimamisere leben müssen wie ihre Kinder. Wer viele Emissionen verursacht, solle auch Schäden wieder beheben müssen. «Es ist meine Verantwortung, jetzt zu handeln. Nicht für Eisbären und schmelzende Gletscher. Ich habe viel mehr Empathie mit den Menschen, die jetzt schon wegen des Klimawandels sterben oder Hunger leiden.» Beide Aktivisten verstehen, dass ihre Forderungen Ängste und Fragen auslösen. Manche bangen um ihren Arbeitsplatz, andere um ihre Mobilität. «Damit es ein sozial gerechter Umbau wird, brauchen wir sie auf unserer Seite», so Hitzblech. Die politischen Massnahmen sollten weniger privilegierte Menschen dann aber nicht noch zusätzlich belasten. Das neue CO2 -Gesetz ist aus Sicht der Regionalgruppe Bern ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Und wenn die Klimaziele weiterhin verfehlt werden? Darf man Gewalt anwenden? Die Aktivisten schütteln die Köpfe. «Der Klimastreik ist ein friedlicher Protest. Wir wollen durch unsere Masse und nicht durch Gewalt Einfluss gewinnen», erklärt Worbis. Er erkennt dennoch den Nutzen von radikaleren Klimaakivisten wie beispielsweise Extinction Rebellion, die mit passivem Widerstand und Massenverhaftungen viel mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. «Ich halte von Extinction Rebellion im Grunde sehr viel, einige ihrer Aktionen sind aber mit unserer Bewegung nicht vereinbar.» Worbis sieht ein, dass der letzte bewilligte Klimastreik in Bern im März aufgrund von Verstössen gegen die Personenobergrenze aufgelöst wurde. Maskenpflicht und Abstände hatte man eingehalten. «Im Mai ist alles anders organisiert.» Trotz aller Rückschläge sind die zwei überzeugt, dass der Protest das richtige Mittel ist und Menschen umdenken können. Hitzblech strahlt Zweckoptimismus aus: «Wir glauben daran, dass sich etwas verändern wird, einfach schon, weil sich etwas verändern muss.»

Michèle Graf

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