Nach dem Ausfall 2020 und den Geisterrennen 2021 finden am Wochenende die Grossen Berner Renntage wieder vor Publikum statt. Doch bevor der Klösterlistutz den Teams gehört, müssen diese ihre Boliden erst bauen.
Vor zwei Jahren verhinderte Corona die Grossen Berner Renntage, letztes Jahr konnten diese nur ohne Publikum durchgeführt werden. Dieses Jahr sind wieder normale Renntage angesagt, und die Vorbereitungen laufen gerade auf Hochtouren. Auf den Spielplätzen und in privaten Garagen sind insgesamt sechzig kreative Teams daran, ihre Seifenkisten zu bauen – es wird unter Zeitdruck gesägt, gehämmert, geschweisst, gefeilt, geschraubt, feingetunt und gemalt – auf Teufel komm raus. Denn jede Seifenkiste ist Eigenbau, und die technischen Herausforderungen für maximalen Speed und hohe Sicherheit sind sehr hoch.
Im Kampf um Bestzeiten wird nichts dem Zufall überlassen
In der grossen offenen Werkstatt auf dem Spielplatz Schützenweg im Breitenrain begegnen wir der elfjährigen Julie-Anne und ihrem Vater Cyrille. Julie-Anne ist sehr sportlich: Sie spielt Fussball und hat ein Abo für den Kletterpark. Die Seifenkisten-Rennsportkarriere begannen sie und ihre neunjährige Schwester Amélie vor einem Jahr. Jetzt sind am sonnigen Mittwochnachmittag Tochter und Vater dabei, die Lenkung ihrer Seifenkiste und ein neues Steuerrad zu konstruieren – knifflige Schweiss-, Säge- und Montagearbeiten und eine typische Vater-und-Kind-Arbeit. Julie-Anne und Amélie bilden ein bereits erfahrenes Rennteam. Eine Erfahrung – allerdings eine suboptimale – betrifft die Lenkung: Im Vorjahr erlitt ihre Seifenkiste im dritten Lauf einen mechanischen Defekt und sie mussten vor dem Final aufgeben. Das soll sich dieses Jahr nicht wiederholen! «Wir bauen ausser dem letztjährigen Fahrgestell und den bewährten Bremsen fast alles neu, insbesondere die Steuerung und die Karosserie», sagt Vater Cyrille, der sich mit der Tochter über die neu konzipierte Lenkmechanik beugt. Im Kampf um Bestzeiten wird nichts dem Zufall überlassen. JulieAnne meint: «Anstelle des zu grossen runden Auto-Steuerrads vom letzten Jahr bauen wir diesmal einen praktischeren Eigenbau-Lenker aus Holz ein. Und viel besser werden die neuen Räder sein!» Was wir sehen, überzeugt: Chassis, Achsen und Räder bilden ein sehr solides Fahrwerk, welches durch Serienmodelle kaum getoppt werden könnte. Eine robuste Bauweise ist auch die essenzielle Voraussetzung, damit Pilotin, Beifahrerin und Fahrzeug den horrenden Querkräften in den berüchtigten Klösterlistutz-Kurven und im atemberaubend schnellen Zielschuss trotzen können. Mitentscheidend wird natürlich auch die Aerodynamik sein. Vergangenes Jahr setzten Töchter und Vater auf ein windschlüpfriges Bootsdesign. Für welche Karosserieform sie sich heuer entscheiden, wird man am kommenden Samstag erstmals sehen können. Insgesamt spricht alles für eine erfolgreiche Teilnahme – und auch das Motto ist ein tolle Motivation: Die Seifenkiste von Julie-Anne, Amélie und Vater Cyrille ist mit der Bezeichnung «Save the planet» angemeldet.
Null PS, maximale Spielpower
Wer sich auf dem Abenteuerspielplatz am Schützenweg umsieht, stellt auf den ersten Blick unzählige fantasievolle Fahrzeuge fest, und Kinder, die sie begeistert lenken und stossen. Kaspar Ritter, seit 1989 laut Selbstbezeichnung als Abwart auf dem Spielplatz tätig, erklärt das so: «Räder haben einen grossen Spielwert. Das macht unsere selbstgebauten Vehikel so beliebt. Um mit ihnen zu spielen, braucht es immer zwei, den Fahrer oder die Fahrerin, und ein zweites Gspändli, welches stösst. So machen unsere Fahrzeuge motorlos glücklich. Mit null PS, aber maximaler Spielpower.» Auf dem Spielplatz befindet sich eine wirklich ausgebaute und hervorragend eingerichtete Werkstatt – inklusive Werkzeug, Schweissgerät, Schleif- und Bohrmaschinen –, wo alle möglichen mobilen Objekte konstruiert werden können. In diesen Tagen sind hier gerade ein halbes Dutzend Teams daran, ihre Boliden für die 35. Grossen Berner Renntage am Wochenende vom 29. April bis zum 1. Mai zu bauen.
Kaspar, Elias und Nik das Rückgrat der Konstrukteure
Sie dürfen dabei auf die fachkundige und motivierende Unterstützung der Mitarbeitenden des Vereins Spielplatz Schützenweg zählen. Kaspar Ritter, mit 64 Jahren der erfahrenste, ist ursprünglich Ingenieur-Agronom; Elias Thoma ist 40 und Forstwart und Nik Loosli, 25, ist gelernter Kaufmann und bildet sich zum Sozialpädagogen weiter. Allen drei eigen ist eine echte Begeisterung für die Arbeit mit Kindern, und sie verfügen über grosse handwerkliche Fähigkeiten. Letztere benötigen nicht nur die Kinder, auch die an den Konstruktionsarbeiten beteiligten Väter sind für die Hilfestellung bei kniffligen technischen Problemen dankbar. Kaspar Ritter erklärt es so: «Wir unterstützen bei Lösungen, wenn die Teams nicht weiterkommen. Sie sagen, was gebraucht wird, und wir zeigen, wie es gemacht werden kann. Denn eine tragfähige Achse oder zuverlässige Lenkung zu bauen, ist kompliziert.» So sorgen die drei Betreuer findig und trickreich dafür, dass die bei ihnen gebauten Seifenkisten den Klösterlistutz pannenfrei bewältigen. Denn, so erklärt Kaspar Ritter: «Jede Kurve ist eine Schlüsselstelle!»
Lahor Jakrlin