Die Bibliografie der 42-jährigen Bernerin Stefanie Christ ist beeindruckend: 15 Kinderbücher, Romane, Sachtexte und Kurzprosa hat sie bis heute veröffentlicht. Sie nimmt ihr Umfeld mit wachen Augen und offenen Ohren wahr – und holt sich so ihre Ideen.
Sie pflegt bewusst eine langsame Gangart, trägt im Tram nie Kopfhörer. So kann sie ihre Umgebung wahrnehmen, hört, was die Menschen kommunizieren, sieht ihre Ausdrucksweise, spürt, was sie beschäftigt. Ihr Hirn sei wie eine offene Schachtel, sagt Stefanie Christ. Alles füge sich zusammen und es sei denkbar, dass daraus zum Beispiel eine Kurzgeschichte entstehe. Der Alltag ist die Quelle ihrer Ideen für eine Geschichte. Ihre schriftstellerischen Geh- bzw. Tipp-Versuche unternahm Stefanie Christ schon als Kind auf der mechanischen Schreibmaschine ihrer Eltern und verfasste kurze Geschichten. Das Schreiben von Aufsätzen in der Schule gehörte zu ihren Lieblingsbeschäftigungen und sie erhielt dafür stets Bestnoten. «Ich bewundere allein schon die Energie, die von einem Buch ausgeht, es ist magisch für mich», schwärmt sie. Geschichten seien immer vorhanden und damit auch der stete innere Antrieb zum Schreiben.
Die Geschichte bestimmt die Form
Ob aus den Ideen ein Roman, ein Kinderbuch, ein Sachtext, Kurzprosa oder eine Mundart-Geschichte entsteht, entscheidet Stefanie Christ im Laufe der Zeit. «Das ist ein Prozess, ich trage die Geschichte manchmal monatelang mit mir herum, ohne dass etwas passiert. Plötzlich springt die Idee! Die Geschichte bestimmt letztlich die Form», erzählt die Autorin.
Sie nennt als Beispiel das Kinderbuch «Rino. Ein stinknormales Nashorn». Im Naturhistorischen Museum in Bern, wo sie als Kommunikationsspezialistin arbeitet, wurde ein ausgestorbenes Nashorn als Kunstwerk digital rekonstruiert. „Es war für mich eindrücklich, wie die Künstlerin dieses Tier wieder zum Leben erweckte“, begeistert sich Stefanie Christ. So entstand die Idee, über dieses Nashorn ein Kinderbuch zu verfassen. «Grosstiere sind für Kinder zwar faszinierend, aber sie wissen teils nicht, wie bedroht sie sind», begründet sie ihre Inspiration zum Buch. Darin wird erzählt, dass einige Menschen glauben, das Horn von Rino verfüge über magische Kräfte. Darum versuchen sie immer wieder, es ihm von der Nase zu rauben. Da eilen die verschiedenen Tiere der Savanne Rino zu Hilfe. «Es ist ein niederschwelliges, kindgerechtes Bilderbuch für Vier- bis Achtjährige. So wird den Kindern bewusst, dass es in der Welt Gefahren gibt und wir zur Natur Sorge tragen müssen», ergänzt Stefanie Christ.
Schreibblockaden sind normal
Romane seien am schwierigsten zu realisieren, sagt die Schriftstellerin, deren Roman «Krähengesang» soeben erschienen ist. Sie rechnet durchschnittlich mit zwei Jahren von der Idee bis zur Drucklegung. Wie geht sie dabei konkret vor? «Ich weiss in der Regel bald, wie eine Geschichte beginnt und wie sie endet. Ich schreibe von vorn und von hinten, justiere oft, bis beide Teile zusammenpassen», konkretisiert sie ihre Arbeitsweise. Auf Post-it-Haftnotizen und mit Einträgen in Notizbüchern hält sie den groben Ablauf fest. «Ein erster Entwurf ist nie druckreif», resümiert Stefanie Christ. Der Prozess sei vergleichbar mit einer Filmszene, die mehrmals gedreht werden muss, bis sie «sitzt». Bei allen Projekten gestalte sich der Anfang jeweils am schwierigsten. «Da muss ich dranbleiben. Bei kreativer Arbeit muss man in Stimmung kommen.» So sei es illusorisch, sich an einen vorgegebenen Zeitplan zu halten, «vor allem, wenn noch kleine Kinder im Spiel sind», sagt sie aus Erfahrung. Sogenannte Schreibblockaden erachtet Stefanie Christ als etwas Normales. Leider seien sie negativ konnotiert. «Sie halten mich nicht vom Schreiben ab. Selbstzweifel und Reflexion gehören dazu, aber es geht immer weiter!» Es sei noch nie so dramatisch gewesen, dass sie deswegen ein Projekt aufgegeben hätte. Gibt es etwas, worüber Stefanie Christ nie schreiben würde? Sie überlegt lange: «Ich meide bei meinen Inhalten zu autobiografische Elemente. Natürlich greife ich auf eigene Erfahrungen zurück oder lasse die Figuren Selbsterlebtes durchmachen, aber ich brauche die Fiktion, um mich zu schützen und abzugrenzen.»
Lebensnahe Mundarttexte
Mit «Wüeschti Hüng» und «Me isch so alt wie me usgseht» wagt sich Stefanie Christ auch an Texte in Mundart, um nur zwei Beispiele zu nennen. Dabei wählt sie einen urbanen berndeutschen Dialekt – «einen lebensnahen Dialekt, gewurzelt in den 1980er-Jahren. Ich schreibe so, wie ich persönlich spreche», präzisiert sie. Grobe Kraftausdrücke sucht man in ihren Mundarttexten vergebens.
Sie fühlt sich am wohlsten, wenn sie ihre Mundarttexte vorlesen kann. «Mein Gefühl für Pointen kommt dabei am besten zur Geltung.» Als extrem hart empfindet sie das Verfassen von Dialektsprache, schwieriger als Hochdeutsch. Man müsse bei Mundarttexten eine eigene Schreibsprache finden, da helfe kein Duden! Als spannend erweise sich jeweils das Lektorat ihrer Dialekttexte: «Da kommen viele Rückfragen der Lektorin, die nur wenige Kilometer weiter entfernt ein leicht anderes Berndeutsch spricht!» Da müsse man sich zusammenraufen, «aber wir finden uns immer.» Angesprochen auf ihre nächsten Buchprojekte, gibt sich Stefanie Christ noch bedeckt. Soviel sei aber verraten: Noch im Dezember erscheint ein Bilderbuch für Kinder und in einem Jahr wirds einen Nachfolgetext zum infografischen Fanbuch «Liebe Aare» (2020) geben und der dritte Roman ist zurzeit im Entstehen begriffen.
Zum Schluss ein Hinweis an die BärnerBär-Lesenden: Wenn Sie im Tram einer jüngeren Frau begegnen, die keine Kopfhörer trägt und nicht auf ihr Handy starrt, son-dern aufmerksam, aber diskret ihr Umfeld mustert, könnte es sich um Stefanie Christ handeln. Und vielleicht werden Sie Protagonist: in einer ihrer nächsten Geschichten…
Peter Widmer
PERSÖNLICH
Stefanie Christ wurde am 30. September 1981 geboren und wuchs in der Nähe von Bern auf. An der Universität Bern studierte sie Kunstgeschichte und Medienwissenschaft. Von 2007 bis 2018 war sie als Kulturredaktorin bei der Berner Zeitung tätig, zuletzt als Ressortleiterin Kultur. Heute arbeitet sie teilzeitlich als Kommunikationsspezialistin beim Naturhistorischen Museum in Bern sowie als freischaffende Autorin. Stefanie Christ hat eine Tochter und lebt in Bern.