Mit 13 Jahren nahm sie erst-mals an einer EM teil, mit 18 Jahren war sie bereits Schweizer Schachmeisterin. Die heute 21-jährige Bernerin Lena Georgescu beweist, dass sich auch Frauen in dieser Sportart behaupten und zur Spitze aufsteigen können.
Klischees halten sich manchmal hartnäckig und sind kaum mehr aus den Köpfen der Menschen zu krie-gen, so auch das Image «des» Schachspielers: hochintelligent, analytisch und taktisch denkend; introvertiert, Einzelgänger und Eigenbrötler.
Nein, Lena Georgescu lässt Lügen strafen – mindestens die drei letzten Eigenschaften entsprechen in keinster Weise diesem Fremdbild: offen, zugänglich, kommunikativ, humorvoll und überlegt beantwortet sie unsere Fragen, obwohl sie eigentlich nicht besonders gern im Rampenlicht steht, wie sie fast entschuldigend gesteht. Aber sie betrachtet die Medienarbeit als ihre Verantwortung gegenüber dem Schach und den Frauen, die diesen Sport ausüben.
Schach ist (fast) ihr Leben
Gegenwärtig werde sie förmlich überhäuft mit Interviewanfragen, sagt sie. Da sei die derzeit laufende Netflix-Serie «The Queen’s Gambit», welche von einer jungen Schachspielerin mit Suchtproblemen handelt, nicht unschuldig, vermutet Lena. Sie zeigt sich aber glücklich über die plötzliche Popularität für Damenschach. «Auf dem Online-Schachserver sind die Nutzerzahlen stark gestiegen und der Run auf Schachbretter ist riesig», freut sie sich.
Was bedeutet denn Schach in ihrem eigenen Alltag? Lena Georgescu überlegt eine Weile: «Dieser Sport bestimmte schon wesentlich mein bisheriges Leben.» Dennoch sie hat nicht den Eindruck, etwas in ihrer Jugendzeit verpasst zu haben. Im Gegenteil: «Durch meine vielen Reisen im In- und Ausland sammelte ich unzählige interessante Erfahrungen und begegnete schon früh spannen-den Menschen. Auch mit meinen Schachkollegen lief nicht immer alles so todernst ab – auch sie sind ja ganz normale Leute!»
Bis Lena etwa zwölfjährig war, mussten die Eltern die Tochter in ihrem Enthusiasmus etwas bremsen, «weil sie zu Recht befürchteten, Schach könnte mich zu sehr vereinnahmen», erinnert sich die 21-Jährige. «Dann aber ermunterte mich der Schachklub Bern zur Intensivierung. Von da an unterstützten mich meine Eltern vorbehaltlos ideell und materiell, ohne aber je Druck auszuüben. Auch richteten sich die Ziele der Familienferien nach Schachturnieren.» Die Mutter begleitete die noch minderjährige Tochter auf ihren Turnierreisen, «obschon sie nicht Schach spielen kann», schmunzelt Lena, «aber sie genoss es, während der Turniere die Städte besichtigen zu können.»
Frauen ans Brett!
Wir verhält es sich nun mit dem Kli-schee des Schachspielers, haken wir nach. Lena Georgescu meint: «Tendenziell ist der Schachspieler ein Analytiker und viele üben Berufe wie Physiker, Informatiker und Mathematiker aus. Auch ich studiere ja zurzeit Informatik und Mathematik. Nicht wenige Schachspieler lieben allgemein Brettspiele und jassen gern. Gewiss, es gibt natürlich schon einige komische Vögel!», wendet die junge Studentin ein, doch die grosse Mehrheit verhalte sich unauffällig.
In der Schweiz sind bloss etwa sieben Prozent der Mitglieder in Schachklubs Frauen. Warum spielen nicht mehr Frauen Schach? Lena Georgescu glaubt, dass einer der Gründe in den veralteten Klischeevorstellungen liegt, dass man Mädchen analytische Fähigkeiten weniger zutraut als Knaben. «Das fängt schon bei der Erziehung an. Wir müssen von diesen Vorstellungen abweichen. Es braucht einen grossen ‹Ruck› in der Gesellschaft. Auch haben die Frauen Hemmungen, in den Schachklubs dann nur von Männern umgeben zu sein. Damit hatte ich allerdings nie Mühe!»
Spielen denn Frauen anders als Männer? Das sei schwierig zu beantworten und nicht eindeutig bewiesen. Eine Studie belege zwar, dass Frauen eine höhere Rate an entschiedenen Partien aufwiesen als Männer. «Dabei fragt sich, ob dies allein aufs Frausein oder eher auf das Spiel-Niveau zurückzuführen ist», sagt Lena Georgescu. «Auf Top-Niveau gehen sehr viele Partien unentschieden aus, weil fast keine Fehler gemacht werden, während es auf tieferem Niveau mehr entschiedene Partien gibt», analysiert die Schweizermeisterin von 2017 die Frage.
Welches sind Lenas nächste Schachziele? Sie lacht: «Ich sehne mich danach, endlich wieder mal ein Turnier bestreiten zu dürfen!» Ja, das Coronavirus hat sich auch ins Schachspiel eingenistet… «Längerfristig bemühe ich mich, mein Niveau weiter zu steigern und den Titel eines internationalen Meisters der Herren anzustreben.» Gegenwärtig versucht die 21-Jährige, Studium und Schach in Einklang zu bringen, was ihr aber recht gut gelinge, zieht sie Bilanz. «Von den UniVerantwortlichen erhalte ich viel Unterstützung. Ich habe keine Anwesenheitspflicht und kann die Stundenpläne selber einteilen.»
Peter Widmer