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«Man spricht zu wenig davon, was die Religion verbrochen hat»

Eliane Schmid feiert Weihnachten mit ihrer Familie, wie unzählige andere Familien auch. Aber ohne Weihnachtsgeschichte, ohne Gesang, ohne Geschenke, ohne Weihnachtsbaum, ohne Lametta. Eliane Schmid ist Atheistin.

Eliane Schmid ist im Kanton Uri, also in einem streng katholischen Umfeld, aufgewachsen. Ihre Eltern zogen aus beruflichen Gründen aus dem Kanton Aargau nach Andermatt. Die Familie gehörte der reformierten Kirche an. Eliane Schmid erinnert sich an absurde Situationen in der Primarschule: «Am Samstagmorgen um neun Uhr erschien der katholische Pfarrer und forderte die Schülerinnen und Schüler auf, nach dem Unterricht zur Beichte zu kommen. Als reformiertes Mädchen konnte ich nach Hause gehen.» Die junge Eliane empfand schon damals Menschen, die mit dem Glauben nichts am Hut hatten, viel «cooler». Sie deckten das Kind nicht mit Verboten ein, mit ihnen konnte Eliane «Pferde stehlen», wie sie sich heute lachend ausdrückt. Erste Zweifel an der Religion meldeten sich also schon im Kindesalter.

Zehn Gebote? Überflüssig
In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre befasste sich Eliane Schmid im Rahmen ihres Studiums in allgemeiner Geschichte intensiv mit der Frauen frage und merkte dabei, wie stark die christliche Kirche mitschuldig ist, dass die Frauen über Jahrhunderte hinweg derart unterdrückt worden sind. Ein konkretes Erlebnis brachte den endgültigen Entscheid, aus der Kirche auszutreten: «Für das Grossmünster in Zürich war erstmals eine Pfarrerin in der Auswahl. Im Kirchgemeinderat entbrannte eine kontroverse Diskussion über das Schminkverhalten der Kandidatin. Das löschte mir endgültig ab! Schminke gehört doch zur Realität vieler Frauen», ereifert sich Eliane Schmid noch heute. «Für mich war klar: Wenn dies ein Problem darstellt, habe ich in dieser Gemeinschaft nichts mehr verloren.» Damals war die Frage, ob es einen Gott oder eine Göttin gibt, nicht ausschlaggebend. Sie kehrte der Kirche den Rücken und trat aus. Eliane Schmid war Mitte zwanzig. Nach der Frage, woran sie glaube, überlegt Eliane Schmid lange. «Sicher an nichts Überirdisches», antwortet sie dann dezidiert. 2012 kam sie mit den Freidenkenden in Kontakt und lernte spannende Menschen mit grossem philosophischem und naturwissenschaftlichem Wissen kennen. Dabei wurde ihr der fehlende Glaube an religiöse Konstrukte erst so richtig bewusst. «Wichtig und zentral ist doch, wie wir Menschen uns in dieser Welt bewegen. Wir müssen Umstände und an Umständen schaffen, dass alle in dieser Gesellschaft die bestmöglichen Voraussetzungen haben, sich gut entfalten zu können, und zwar ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Herkunft und ihrer Neigungen und frei von den oktroyierten Dogmen der Kirche», begründet Eliane Schmid weiter ihre Abkehr von der Kirche. Für Schmid sind die Zehn Gebote überflüssig, denn schon lange bevor es diese gegeben hätte, habe die Menschheit gemerkt, dass gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit die Gemeinschaft weiterbringen als sich umzubringen. «In unserer Gesellschaft spricht man noch viel zu wenig darüber, was die Religion alles verbrochen hat. Religion an sich hat auch eine zerstörerische Kraft. Zahlreiche Kriege waren religiös begründet», sagt die Historikerin.

Keine Mühe mit natürlichen Autoritäten
Für Eliane Schmid ist klar: Weihnachten hat heute viel mehr mit Kommerz als mit Religion zu tun. Aber die zusätzlichen freien Tage weiss sie zu schätzen, sie bilden eine temporäre Auszeit aus ihrem Alltag. So verbringt sie denn die Feiertage – wie viele andere Familien auch – zusammen mit ihrer Familie, jedoch ohne Weihnachtsbaum, Geschenke und dergleichen. «Es ist eine Zusammenkunft, wie wir sie während des Jahres auch hie und da haben», so Eliane Schmid. Geschenke gibts zu Geburtstagen. «Das ist ehrlicher und individueller.» Wenn sie kirchliche Dogmen ablehnt, wie hält sie es mit «weltlichen» Autoritäten? Die Antwort ist glasklar: «Die Leitlinien, wonach wir leben, sind von Menschen gemacht. In der Demokratie gestaltet die Bevölkerung mit. So habe ich auch keine Mühe mit Gesetzen und Verordnungen.» Die Kommunikationsfachfrau bekundet aber nicht automatisch Respekt vor Autoritäten, den Status der Autorität müsse man sich erst verdienen. Respektvoller Umgang, Integrität, Empathie und Fachkompetenz gehörten dazu, um als Autorität anerkannt und respektiert zu werden. Freundschaften knüpft Eliane Schmid nicht aufgrund der Konfessionszugehörigkeit. Auch in ihrem engeren Umfeld hat es noch einige Menschen, die einer Kirche angehören, sei es aus familiären Gründen, weil sie sich noch nie intensiver mit dieser Frage befasst haben oder einfach aus Bequemlichkeit. Gewiss, wenn in einer Diskussion über Religion gesprochen wird, stellt sie sich der Auseinandersetzung und hält mit ihrer Meinung nicht zurück. «Aber ich missioniere nicht für den Atheismus», hält sie bestimmt fest. Die Weihnachtswünsche, die Eliane Schmid den Bärnerbär-Lesenden mit auf den Weg gibt, sind alles andere als überirdisch, sondern weltlich und handfest: «Ich wünsche Ihnen schöne Stunden, wie Sie sie gerne mögen, allein oder im Kreise der Familie, von Freunden. Vor allem aber ein besseres neues Jahr, welches den Druck auf die Gesellschaft etwas löst – und Gesundheit!»

Peter Widmer

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