Die Berner Radiojournalistin Priscilla Imboden (44) hat als Korrespondentin live aus den USA über die Präsidentschaftswahlen berichtet. Dabei sprach sie vor allem auch mit Trump-Anhängern.
Vor vier Jahren verkündete Priscilla Imboden am Radio, was niemand erwartet hatte: Donald Trump war zum 45. Präsidenten der USA gewählt worden. Damals war die schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin USA-Korrespondentin für Radio SRF und hatte mit ihrer Familie ihren Wohnsitz von Bern nach San Francisco gewechselt.
Seit ihrer Rückkehr arbeitet sie als Bundeshausredaktorin. Für die aktuellen Präsidentschaftswahlen ist sie nun aber kurzerhand zurück in die USA geflogen, um dem Land die Temperatur zu messen. «Mein Auftrag war es, aus einem sogenannten Swing State zu berichten», so Imboden. Sie entschied sich für Pennsylvania, weil die dortige Wahl für Sieg oder Niederlage entscheidend sein konnte. «Pennsylvania ist ein repräsentativer Staat für die ganze USA», so Imboden. «Es gibt zwei grosse Städte – Philadelphia im Osten und Pittsburgh im Westen –, die beides demokratische Hochburgen sind. Dazwischen liegt ein sehr ländliches Gebiet, das bis zu 80 Prozent Trumpland ist.»
Imboden fuhr zuerst nach Scranton, dem Geburtsort von Joe Biden. «Ich wollte herausfinden, warum in diesem Gebiet vor vier Jahren so viele von den Demokraten zu den Republikanern gewechselt hatten.» Sie sprach mit Vertreterinnen und Vertretern von Parteien und mit freiwilligen Wahlhelfern. «Die Stimmung war sehr aufgeheizt. Trump-Unterstützer veranstalteten Rallyes an Strassenkreuzungen, wenn sie wussten, dass Biden in der Nähe auftreten würde. Sie machten Lärm, schwangen Fahnen mit Waffen darauf», so Imboden. Mit Pickups seien sie hinund hergefahren und hätten «Four more Years» gerufen.
Die Motivation, Trump wiederzuwählen, sei noch grösser gewesen als jene, ihn vor vier Jahren zu wählen, erklärt Imboden. «Doch die Gegner gingen ebenfalls wählen. Die Wahlbeteiligung war rekordmässig hoch.»
Schweizer, die guten Exoten
Grundsätzlich hat Imboden mit mehr Trump-Anhängern als mit Unterstützern von Joe Biden gesprochen. Ihr Kollege war in Arizona stationiert und sprach vermehrt mit Demokraten. So lernte Imboden etwa die dreissigjährige Aktivistin Annie Howell kennen. «Sie unterstützt Trump, weil sie für ihren Sohn als weisser Mann in einem demokratisch regierten Land keine Zukunft sieht.» Howells Familie spricht nicht mehr mit ihr.
«Es gibt viele amerikanische Familien, die an Trump zerbrochen sind», so Imboden. «Die Trumpisten fühlen sich bedroht von der Black-Lives-Matter-Bewegung, selbst wenn sie persönlich gar nicht mit ihr in Kontakt gekommen sind», erklärt Imboden. Weil Imboden kategorisch eine Maske trug, wurde sie auch angepöbelt. Man fragte sie, ob sie hysterisch sei, vor Corona Angst habe. Sie erklärte, sie sei auf Dienstreise und möchte nicht an einem Ort weit weg von zuhause in Quarantäne gehen müssen. «Sie macht nur ihren Job», habe jemand sie verteidigt. «Das Misstrauen gegenüber Medien ist zwar gross, aber wenn man aus der Schweiz kommt, finden Amerikaner das auch im guten Sinne exotisch», so Imboden.
Am Rande einer Pressekonferenz in Philadelphia, wo Trumps Anwalt Rudy Giuliani sprach, fiel in einem Interview der Vorwurf, die Medien seien parteiisch. Sind sie das? Imboden winkt ab. «Was zählt, ist saubere journalistische Arbeit. Dazu gehört es, beide Seiten aufzuzeigen. Das ist eine unserer Kernaufgaben bei SRF.»
Reizfigur Hillary Clinton
Den Wahlabend am dritten November verbrachte sie in einer Turnhalle in Scranton. Ein Mann von einer Truckerfirma fuhr mit seinem Truck auf und ab. «Das Auto war voller Aufkleber mit Schmähungen gegen Hillary Clinton. Sie ist und bleibt die grosse Reizfigur der Republikaner», so Imboden.
In einem Meer von roten Kappen sitzend, wurde die Journalistin gefragt, wo sie selber politisch stehe. Sie blieb allgemein, erklärte aber, warum Trump – der die internationale Zusammenarbeit massiv einschränkte – in Europa wenig beliebt sei. «Viele Republikaner sind der festen Überzeugung, die Demokraten wollten die USA zerstören», so Imboden.
Nach Joe Bidens Sieg stelle sich nun folgende Frage: «Wird er überhaupt wirksam regieren können, wenn er den Senat nicht gewinnt?» Imboden ist froh, selbst in einem Land zu leben, in dem eine gesittete, politische Debatte noch möglich ist. Was amerikanisch an ihr sei, beantwortet sie augenzwinkernd: «Ich kann einen sehr guten Apple-Pie machen.»
Helen Lagger