Mg 3320

Mit Mut, Ästhetik und Internet eine Marktnische erobert

Eine heimelige Werkstatt, ein winziger sonniger Hinterhof mit Blumen und Gemüse und ein kleiner Speicher aus dem 19. Jahrhundert als Lagerraum – Rahel Kollers Glaslabor ist ein romantischer Flecken des unbekannten Bern.

Man findet das Glaslabor am verwinkelten Terrassenweg unweit der «Welle» und Universität nur schwer, ohne Vereinbarung vielleicht gar nicht. Und wenn man einen Termin vereinbaren möchte, geht das zuerst auch nur über E-Mail … Telefonnummer findet sich auf der Website keine. Ein etwas ungewöhnlicher und zugleich doch erfolgreicher Marktauftritt, denn Rahel Kollers Unikate finden ein wachsendes Echo.

Start als Kameraassistentin

Ist man erst mal da, betritt die Werkstatt, dann den liebevoll begrünten Patio-Garten mit dem über 200 Jahre alten châletartigen Lagerschuppen, fühlt man sich irgendwie in einen der romantischen Hinterhöfe des Pariser Montmartre versetzt, wo H a n d w e r k e r , K l e i n h ä n d l e r und Kreative Tür an Tür arbeiten. Und so ist es auch mit der Einfrau-Firma von Rahel Koller – sie ist eine Designorientierte Kunsthandwerkerin und gleichzeitig Kleinstunternehmerin. Die zierliche und doch Kraft und kreative Energie ausstrahlende Rahel Koller wuchs im Zürcher Oberland auf. Sie absolvierte eine 4-jährige Lehre zur technischen Glasbläserin und arbeitete danach im Labor-Apparatebau für die Wissenschaft. Später landete sie beim Film, wo sie zehn Jahre als FreelanceKameraassistentin bei unzähligen Filmprojekten mitwirkte – für den «Tatort», Hits wie «Sennentuntschi» oder die Martin-Suter-Verfilmung «Der letzte Weynfeldt». Sie, die seit 2000 in Bern lebt, entdeckte 2013 am Terrassenweg per Zufall die ehemalige Schmitte und beschloss, planlos und spontan, dieses Bijou zu mieten. Dann folgte der Entscheid, in den gelernten Beruf zurückzukehren. Sie beschaffte die spezielle Werkstatteinrichtung von stillgelegten Glaswerkstätten: schwere Occasions-Maschinen und -Geräte aus den 1950-ern. «Der Transport war teurer als die Anlagen», sagt Rahel Koller schmunzelnd.

Ein seltenes Kunsthandwerk

«Die Branche des Glaskunsthandwerks ist sehr übersichtlich», sagt Rahel Koller, «die Konkurrenz aus dem Ausland, meist aus Tschechien, Polen oder Italien, produziert günstiger, die Löhne sind auch in der Schweiz nicht hoch, was dazu führt, dass kaum Schweizer Nachwuchs ausgebildet wird. Glasbläserinnen und Glasbläser arbeiten in Werkstätten, haben kaum Kundenkontakt, und eine Karrierechance hat nur, wer die Selbstständigkeit wählt.» Rahel Koller wagte es. «Klar fragte ich mich, ob ich meine Designs und Ideen würde verkaufen können, ob der Markt gross genug sei. Auch hatte ich noch keine Verkaufspunkte und von Marketing keine Ahnung.» Unbefangen legte die Jungunternehmerin los, entwickelte 2015 das «Radix»-Glas (Radix: lat. für Wurzel) und erhielt damit bei einer Ausschreibung als Preis einen Förderkurs für Marketing, Markenschutz und die Suche nach Marktnischen. Letztere fand sie in Designmessen, wo sie mittlerweile innert der jeweils wenigen Expo-Tage hunderte Vasen, Karaffen oder Dosen direkt verkaufen kann. Parallel zu den ersten Messeauftritten startete sie ihren Webshop glaslabor.ch.

Viel verdient sie nicht Mit den Lockdowns kam es, da Ausstellungen abgesagt wurden, zu schmerzhaften Verkaufseinbussen. Allerdings nicht für lange, denn die während der Jahre gebildete Stammkundschaft wich auf den Webshop aus. So kann sich das Glaslabor ohne Corona-Kredite aus eigener Kraft über Wasser halten. Beinahe täglich sieht man Rahel Koller mit ihrem alten «Last-Rennvelo» Pakete zur Schanzenpost fahren. Noch könnte Rahel Koller vom Glaslabor allein nicht leben. Sie arbeitet zwei Tage pro Woche in einer technischen Glasbläserei im Aargau, die restlichen drei Tage in ihrer Werkstatt, und an Wochenenden erledigt sie die administrativen Pflichten. Trotz des grossen Arbeitspensums und ohne hohes Einkommen strahlt Rahel Koller Zufriedenheit und Ausgeglichenheit aus: «Es geht mir gut, und ich kann mir alles, was wirklich wichtig ist, leisten. Und ja, Selbstbestimmung und Kreativität sind für mich eben auch sehr wertvoll.»

Lahor Jakrlin

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge