Seit 1993 führt Madeleine Lüthi das Vintage-Geschäft Glanz und Gloria in der Berner Altstadt. In ihrem Laden findet man Raritäten für jeden Anlass: Vom Cocktailkleid aus den Sechzigerjahren bis zum Damenhut aus den Dreissigern. Ein Besuch.
Sie hat ein klassisches Profil und dunkelrote Lippen. Die Rede ist von Madeleine Lüthis Schaufensterpuppe aus den Zwanzigerjahren. «Ich habe sie geschenkt bekommen, weil die Arme fehlen», erzählt Madeleine, wie die Inhaberin des VintageGeschäftes Glanz und Gloria von allen genannt wird. Seit 1993 ist ihr Laden in der Brunngasse eine Oase für Menschen, die sich mehr Glamour in ihrer Garderobe wünschen. Es gibt hier Cocktailkleider aus den Sechzigerjahren, mit Marabufedern besetzte Capes und Hüte aus den Dreissigerjahren. Ein solches Exemplar setzt sich Madeleine auf, um neben ihrer Puppe für die Fotografin zu posieren. Die Schaufensterpuppe schaffte es sogar schon in die «New York Times». Die Redaktoren der berühmten US-Zeitung hatten den Laden aufgestöbert und in ihrem Beitrag über Bern empfohlen. Nach Trainerjacken, Turnschuhen oder Jeans sucht man hier vergeblich. Vielmehr sind die Kleider hier festlich oder ausgefallen und haben alle eine Geschichte, die Madeleine gerne erzählt. Sie sei wohl altersmilde geworden und beurteile nicht, was die Leute tragen würden. Ein bisschen mehr Mut würde sie sich von den Bernerinnen und Bernern aber schon wünschen.
Konkurrenz der Billigläden
Madeleine selbst zelebriert Weiblichkeit und trägt ihre zu Locken gedrehten Haare im Stil früherer Hollywood-Diven. Seit dreissig Jahren trage sie ausschliesslich Kleider, das passe einfach besser zu ihrer Figur, verrät sie. «Mit der Freitag-Tasche hat der Abstieg begonnen», kommentiert Madeleine den grassierenden Casual-Look, dem sie mit ihrem Angebot trotzt. Auch die vielen Billigläden machen ihr zu schaffen. In den Neunzigerjahren, als sie ihren Laden eröffnet habe, seien die Leute individueller gekleidet gewesen, stellt sie fest. Finanziell über die Runden zu kommen, sei keine Selbstverständlichkeit, auch weil die Lage ihr kaum Laufkundschaft beschere. Trotzdem möchte die gelernte Verkäuferin keinen anderen Beruf. «Ich mache weiter, solange ich meinen Kunden und Kundinnen Freude bereiten kann.»
Schneewittchen und Las Vegas
Das Glanz und Gloria ist ein Gesamtkunstwerk. Ein Spiegel aus der Zeit Napoleons ist voll gehängt mit Ketten und Federn. «Das ist eine handgeschliffene Kristallkette aus den Zwanzigerjahren», verrät Madeleine, auf ein besonders schönes Exemplar hinweisend. Alte Werbeanzeigen, Schneewittchen und die sieben Zwerge aus Plastik, eine Maske aus Venedig sowie ein Revue-Kostüm aus Las Vegas gehören zu der liebevollen Innenausstattung. Ein Faible für Mode habe sie schon als Kind gehabt, verrät Madeleine. So habe sie ihren Barbies jeweils Kleider aus dem Stoff alter Pyjamas genäht. Madeleine wuchs als Adoptivkind in Laupen auf, wo sie die Rudolf-Steiner-Schule besuchte. Ihre leibliche Mutter lernte sie erst spät kennen. «Ich erfuhr, dass sie in der Ostschweiz drei Boutiquen betrieb und eine Hutmacherin war. Die Frage, woher ich dieses Flair habe, ist seither klar.» Kleider sind für Lüthi mehr als etwas rein Materielles. Sie habe nichts mit Esoterik am Hut, stellt sie klar. «Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass die Kleider mich finden.» So geschehen in Mailand, wo sie ein bodenlanges, mit Teigwaren bedrucktes Seidenkleid aus Stoff von Dolce & Gabbana fand. «Es war wie für mich gemacht.» In Bern kennt man Madeleine auch als regelmässige Theater- und Partygängerin. «Ich schätze es, dass man in Bern als Frau alleine unterwegs sein kann.» Im «Goldenen Dreieck» – bei den drei Eidgenossen, im Les Amis oder im Pyri – treffe sie immer irgendjemanden, den sie kenne.
Helen Lagger