Das muss der Echte sein: der weisse Rauschebart, der rote Mantel, der feste Händedruck, das warme Lächeln. Der Samichlous, leibhaftig. Tief im Wald, irgendwo bei Niederwangen, neben dem Eselstall, steht sein Wald-Gästehaus.
Drinnen heizt Schmutzli den Ofen an, die Wände zieren Kinderzeichnungen, Laternenlicht flackert. Weiss-rote Gardinen sind zurecht gezupft und an der Decke hängen abgenutzte Schneeschuhe aus Holz.
«Die Kinder fragen uns aber immer, ob wir mit den Dingern Tennis spielen», lässt der Mann im roten Gewand die Idylle-Blase platzen und lacht los.
So manche Kinderfrage bringt auch ihn aus dem Konzept. «Einmal wollten zwei wissen, ob ich mit dem Schmutzli verheiratet bin. Was sagt man da? Oder was der Schmutzli und ich im Sommer machen? Schwimmen. Er in brauner Badehose und ich in einer roten natürlich», sagt Samichlous und legt sein Geschichtenbuch auf den Tisch. Es wiegt locker so viel wie eine kleine Bowlingkugel und ist ein Füllhorn an Anekdoten, ebenso wie sein Besitzer.
Er deutet auf die Rute, die mit verkohlter Spitze auf dem Tisch liegt. «Mein Schmutzli stand mal zu nahe an Baumkerzen. Plötzlich riefen alle Kinder: ‹Der Schmutzli brennt!› Die Rute brannte lichterloh. Da ist mein Schmutzli gerannt. Ich wusste gar nicht, dass du so schnell bist, lieber Schmutzli.» Der verzieht keine Miene und brummt leise.
Bis Weihnachten ausgebucht
Bei der der Samichlouszunft Bärn, zu der beide gehören, ist die Rute heute nur noch ein kleiner Besen. Damit fegt der Schmutzli seinem Samichlous den Schnee vom Mantel, statt Kinder zu jagen. Die Zeiten sind vorbei. Nur bei Unordnung kennt der Waldschrat kein Pardon und trickst den Samichlous aus. Bevor ein Kind versprechen muss, in Zukunft sein Zimmer besser aufzuräumen, gibt der Samichlous sein Chlousenehrenwort, seinen Schreibtisch in Ordnung zu halten. «Dein Geschichtenbuch hat auf jeder Seite Flecken», foppt Schmutzli Samichlous. «Stimmt nicht!», protestiert der kleinlaut und lacht schuldbewusst.
Mit Buch, Rute und Sack besucht das ungleiche Duo als gute Freunde in der Chlousensaison etliche Familien, oft über Jahre hinweg. «Wenn Kinder bei uns weinen, dann nur, weil wir schon wieder gehen müssen.» Die Mantelträger sind bis Weihnachten ausgebucht. Neben Familien und Kindergärten stehen Spitäler, Firmen und Seniorenheime auf dem Programm. Mit ihren Zunft-Kollegen haben Samichlous und Schmutzli dafür unlängst 1500 Lebkuchen gebacken, verziert und in Chlousensäcke gepackt.
Das ganz spezielle Handy
Und wer hat für die Lebkuchen das bessere Händchen? Sofort zeigt Samichlous auf seinen Helfer: «Er kanns einfach besser. Ehrlich, ohne meinen Schmutzli wäre ich nichts. Er hat die Termine im Griff und das Handy.» So etwas Neumodisches? Dabei gibts in der Waldhütte nicht mal Strom. Schon holt Schmutzli das Teil hervor: eine orange Spülmittelflasche.
Manche Kinder lieben den wortkargen Kauz mit dem trockenen Humor sogar mehr als den Samichlous, besonders wenn er seinen Esel dabei hat. «Da kann ich einpacken», sagt Samichlous. Trotzdem würde er nie alleine losziehen. «Nein! Da müsste ich den Sack ja selbst tragen», schüttelt er den Kopf.
Die Berufung zu Schmutzli und Samichlous können beide nicht erklären. «Zufall», murmelt Schmutzli in seinen Bart und legt Feuerholz nach. Er geniesst es, im Hintergrund zu sein. Kernkompetenz: Ruhe und Geduld. «Ich passe auf den Samichlous auf und hole ihn runter, wenn er sich mal über den störrischen Esel nervt.» Nur eine Schwäche haben beide. Brunsli, Zimtsterne, Mailänderli. «Bei Guetzli können wir nie widerstehen.» Und Samichlous gibt zu, dass jede Saison ein Kilo mehr auf die Hüften wandert: «Dieses Mal muss ich aufpassen, mein Chlouskampfgewicht hab ich schon.»
Die vielen Begegnungen, gerade mit älteren Menschen, und glückliche Kinderaugen sind für beide das Beste am Chlous-Job. Jeden Morgen wuchtet Schmutzli motiviert den Sack auf den Rücken, egal, wie erledigt er am Vorabend war. «Selbst wenn ich mit durchnässtem Mantel los muss, lohnt es sich.»
«Manche weinen»
Die Nachfrage nach Besuchen steigt seit Jahren. Warum fasziniert der Samichlous-Brauch mehr denn je? Die Menschen wollten einfach aus der schnelllebigen und technischen Zeit mal ausbrechen, meint das Duo. «Manche weinen fast, wenn wir einen Termin absagen müssen», so Schmutzli.
Für die Zunft sind derzeit 15 Paar Schmutzlis und Samichlöise mit sechs Eseln unterwegs. Eine Chlöusin oder eine Schmutzina gibt es in der Samichlouszunft aber nicht. Samichlous runzelt ob der Idee die Stirn. «Das wäre befremdlich. Schliesslich war der Bischof von Myra, auf den der Brauch zurückgeht, ein Mann.» Ein Samichlous muss für ihn aber vor allen Dingen eins sein: wahrhaftig. Seine Augen funkeln: «Du darfst den Samichlous nicht spielen, du musst er sein.»
Michèle Graf