Ist es Schmiererei, Kunsthandwerk, gar Kunst? An Graffitis scheiden sich die Geister. Wir trafen uns mit einem Sprayer, der mit seiner Arbeit seit einem Jahr den Lebensunterhalt bestreitet. Nach Auftrag und völlig legal.
Der Siegeszug der Graffitis begann in den 1970ern in New York unter der Bezeichnung «Writings», mit Markern an Häuserwände geschriebene Worte und Parolen. Nach und nach kamen Sprayfarben dazu, und es entwickelten sich Stile und Graffitikulturen, allerdings illegal und sehr zum Ärger von Immobilienbesitzern, Bahnen und Denkmalschützern. Mittlerweile haben sich die meisten von uns an Graffitis gewöhnt, den sie begegnen uns alle paar Meter an Mauern, in Unterführungen, entlang von Bahnstrecken und Autobahnen, auf Trams, Zügen… schöne und weniger schöne. Um im Schutze der Nacht entstehende unerwünschte «Kunstwerke» und deren mühsame Entfernung zu verhindern, stellen Städte und viele Gemeinden den meist jungen Sprayern und «Kollektiven» Wände zur Verfügung, wo sie sich auch bei Tageslicht kreativ austoben können. Aus diesen Kreisen entwickeln sich Talente, deren Werke Farbe in den Alltag bringen, das Auge erfreuen können und inspirieren. Derart, dass für kunstvolle Graffitis ein Markt entstanden ist – Sprayereien auf Bestellung. Lukas von Burg, in der Graffiti-Community als «Bax» bekannt, ist einer dieser professionellen Sprayer.
Von der Leidenschaft zum Beruf
Der 29-Jährige ist ausgebildeter Elektroniker und arbeitet als solcher mit einem Pensum von 20 Prozent in einem Sozialprojekt, doch hauptberuflich sprayt er als Start-up für Private und für Firmen.
War Graffitiartist schon immer Ihr Berufsziel?
Nein, es ergab sich. In der Jugend begann ich – vielleicht «familiär» beeinflusst, mein Grossvater war ein bekannter Grafiker – Schriften zu entwickeln, und Schriften bilden die Mehrheit von Graffitis. Ich bin in Thun aufgewachsen und wurde dort auch Mitglied des Graffiti-Kollektivs HMS. Die Arbeit in der Gruppe ist ein kreativer Austausch, man findet zu seinem eigenen Stil und kann diesen laufend optimieren.
Was sagen Sie Leuten, die Graffitis nicht mögen?
Gespräche über Kunst sind immer schwierig. Ich frage dann vielleicht zurück: Wie stehst du zu Kunst überhaupt? Andererseits sind Graffiti eine Realität, und ich versuche gar nicht, jemand für die Akzeptanz zu überzeugen.
Wo holen Sie sich die Ideen?
Sicher inspiriert mich die Natur, mich faszinieren fliessende Formen und ich habe einen Hang zum Realismus. Natürlich surfe ich im Internet und feile dann in der Umsetzung an Objektideen. Bei Auftragsarbeiten, ob für Private oder Firmen, bringen natürlich die Kunden ihre Inputs und Wünsche mit ein. So entstehen meist auch ganz neue Ideen.
Wie läuft das Geschäft?
Erste Auftragsarbeiten hatte ich 2015, beruflich setze ich aber erst seit einem Jahr auf die Karte Graffiti, ich stehe noch am Anfang. Ich musste lernen, meine Arbeit zu kalkulieren, Zeit, Material und Spesen für Offerten richtig einzuschätzen. Noch immer sammle ich Erfahrungen, etwa im Verkauf und der Vermarktung. Alles muss gelernt sein. Aber es ist schön, mit meinem Schaffen anderen Leuten Farbe ins Leben zu bringen. Und ich schätze die Freiheit der Selbstständigkeit.
Was kostet eigentlich eine Graffiti Arbeit?
So zwischen 1500 und 4000 Franken. Natürlich spielt die Fläche eine Rolle, allerdings nicht die wesentlichste. Der Preis hängt stark davon ab, wie frei ich arbeiten kann, wie gross der zeitliche Rahmen ist oder eine charmante Pinselstruktur erwünscht ist.
Wie malen Sie sich Ihre Zukunft aus?
Mir ist bewusst, dass das, was ich mache, nur ein kleiner Teil dessen ist, was in der heutigen Grafik möglich ist. Natürlich feile ich am Stil und erkunde neue Formen und Techniken. Aktuell faszinieren mich grafische 3D-Modelle und ich hatte auch schon solche Visualisierungsaufträge. Natürlich entwerfe ich auch Flyer und Logos. Wohin die Reise geht, weiss ich nicht, aber ich will auch in Zukunft unbedingt kreativ arbeiten.
Lahor Jakrlin