«Ich habe mich vor 60 Jahren für den Coiffeur-Beruf entschieden und dies bis zum heutigen Tag nie bereut. Ich bin mit Leib und Seele Coiffeur und ich bleibe es, solange ich gesund bin!»
Max Haudenschild, geboren am 26. Dezember 1942
Ich mag Max! Seit genau 60 Jahren greift Max Haudenschild den Menschen in die Haare und seit rund 30 Jahren halte auch ich ihm meinen Kopf hin, gönne ich mir doch oft den Luxus – seit der Erntedankzeit meines Bartwuchses, als der Flaum im Gesicht sich zum stachligen Wuchs wandelte – mich nicht selber zu rasieren.
Bei Max Haudenschild wird das Rasieren, Nackenputzen und Haarewaschen inklusive Kopfmassage (oder Friktion, wie der Connaisseur de bonne santé sagt) mit dem geheimen «Chabiswasser» à la Mode du Chef, zu einer lokalhistorischen Lektion. Denn wenn ich in Max’ kleinem Salon namens Maxim an der Berner Aarbergergasse 12, in den er nach Aufgabe seines Hauptgeschäftes im Sternengässchen umzog, im weichen Coiffeurstuhl aus den 50er-Jahren versinke, tauche ich ein in Erinnerungen und Erzählungen an die vergangenen sechs Jahrzehnte Stadt Bern zwischen Gassen-Getratsche und Glanz-Geschichten.

Legendäres Bermuda-Dreieck
Max hat unzählige Anekdoten über den Mikrokosmos Berner Innenstadt auf Lager. Beginnend in den frühen 60er-Jahren, als anstelle des heutigen Coop-Hotel-Savoy-Blockes noch ein altes Gebäude mit einem halben Dutzend berüchtigten Beizen und Bars stand, wo Schlägereien zur Tages- und Hausordnung gehörten, als Haareschneiden noch vier Franken achtzig und Rasieren einen Franken zwanzig kostete und die Ohren-, Nasen- und Augenbrauenhaar-Entfernung mit offenem Feuer, dem sogenannten Abfackeln, noch nicht verboten war. «Heute präsentieren die überall aus dem Boden schiessenden, von Türken und Arabern geführten Coiffeurgeschäfte das Abfackeln als Neuheit, für sie gilt das Verbot anscheinend nicht», sagt Max Haudenschild, mehr ironisch als verärgert. Ja der Max ärgert sich kaum, er erzählt lieber Geschichten. Seine Coiffeurzeit in Bern begann als Mitarbeiter in einem Coiffeursalon im Bermuda-Dreieck Hotel Schweizerhof – Bahnhof – Nachtclub Mocambo. Max Haudenschild erinnert sich gerne an die goldenen Berner Jahre, als die Schweizerhof-Besitzer-Familie Gauer, dank ihres weltweiten Beziehungsnetzes, im Fünf-Sterne-Haus am Bahnhofplatz viele berühmte Gäste empfing, die sich nicht in den Hotelzimmern versteckten, sondern durch die Berner Gassen flanierten.

Jean Gabin war bei ihm
So kam Schauspielerin Liz Taylor immer wieder gerne in die Stadt, wo sie 1950 ihre Hochzeitsferien mit ihrem ersten Ehemann, dem Hotel-Tycoon Conrad Hilton jr., verbrachte. Leider hat Max Liz nie bedient. «Ich war gerade mit einem Kunden beschäftigt, als die Taylor unangemeldet im Salon auftauchte und ihre Haare föhnen lassen wollte, ein Kollege hatte dann das Glück.» Hingegen griff Haudenschild der halben Filmcrew in die Haare, welche im Schweizerhof und auf der Baustelle des damals sich im Bau befindenden neuen Berner Bahnhofs Szenen für den JamesBond-Film «Im Geheimdienst Ihrer Majestät» drehten. Der Name eines Kunden seiner frühen Coiffeurzeit lässt Max Haudenschilds Augen noch Jahrzehnte später leuchten: «Jean Gabin sass mehrmals bei mir auf dem Stuhl. Das war ein Monsieur, er logierte im Schweizerhof und genehmigte sich ab und zu einen Drink in der Mocambo-Bar!», erinnert Max an den legendären Schauspieler. Gabin gehöre «zur Generation der gepflegten Herren, sie kamen mindestens zweimal in der Woche, vor Sitzungen oder Auftritten».

«Heute tragen die Männer Bartwildwuchs und Schablonen- Haarschnitt.»

Weltberühmtes Mocambo
Doch diese gepflegten Herren gebe es nicht mehr, denn «heute tragen die Männer Bartwildwuchs und Schablonen-Haarschnitt», ärgert sich Max, der seinerseits die Langhaar-Mode in den 60er-Jahren begrüsst: «Alle wollten einen Beatles-Pilz-Kopf und einen gepflegten Schnauz wie Jean-Paul Belmondo.» Auch der gehörte zu Maxens gelegentlichen Kunden. Sieben Jahre war der französische Filmstar mit Ursula Andress liiert und pendelte zwischen Wohnsitzen in Bern, Rom und Paris. Apropos Paris: Es gab ausserhalb der französischen Hauptstadt in Europa kein hochkarätigeres und berühmteres Varieté und Cabaret als das vom urbernischen Wirtepaar Rutschi geführte Mocambo in Bern! «Die Welt war hier zu Gast, im Publikum und auf der Bühne, mit zwei Orchestern jeden Abend sowie Stars wie Silvie Vartan, Siegfried und Roy, Mireille Mathieu, Udo Jürgens, Hazy Osterwald und so weiter und so fort», schwärmt Max Haudenschild. Im Salon nebenan fungierte er sozusagen als der Mocambo-Hauscoiffeur.

Max schmeisst den Haushalt
Jahre später, als Max Haudenschild sein eigenes Geschäft eröffnete, stammten seine bekannten Kunden nicht mehr aus der Welt des Glamours, sondern sie arbeiteten im Amtshaus, in der Polizeikaserne, im Bundeshaus «und auch im Milieu», wie Max Haudenschild schmunzelnd anfügt. Zuweilen sassen Politiker, Polizisten, Richter, Staatsanwälte, Prostituierte und ehemalige Häftlinge einträchtig nebeneinander im Salon und liessen sich von Max den Kopf waschen. «Meine Erinnerungen sollen aber hier nicht einen falschen Eindruck erwecken, denn der grösste Teil meiner Kundschaft besteht aus Menschen wie du und ich. Deren Zufriedenheit sind der Kern meiner Freude am Beruf», betont der 76-jährige Coiffeurmeister, der Schere, Klinge, Bürste, Föhn und Kamm noch lange nicht aus der Hand legen will. Derzeit muss er zwar im Laden kürzertreten, denn er betreut zuhause seine erkrankte Ehefrau, mit er seit 57 Jahren zusammen ist, die Mutter seiner vier längst erwachsenen Kinder. Max schmeisst den Haushalt ohne Haushaltshilfe und ohne Spitex. «Putzen, Kochen und Dasein für die Liebe des Lebens, auch das hält jung», ist er überzeugt. Man muss ihn einfach mögen, den Max.

Matthias Mast