Baden im Marzili: Mit der Öffnung der Bäder kehrt ein Stück Freizeitvergnügen nach Bern zurück. Marzili-Anlagenchef Beat Wüthrich hat nach dem verspäteten Saisonstart alle Hände voll zu tun – trotz Regenwetter.
Schnell noch einen Blick in den Bueberkanal an der Aare werfen und den Rettungsring zurechtrücken. Beat Wüthrich, Anlagenchef des Marzili, macht an diesem Sonntagmorgen seinen Rundgang. Er und sein Team sind parat – das Marzili hat endlich wieder offen. Doch kein Badegast lässt sich blicken: Es regnet Bindfäden, 14 Grad. Wüthrich nimmts gelassen. «So können wir langsam starten und uns an die besuchsintensiven Tage rantasten», sagt er. Dank einem automatischen Zählsystem am Eingang wissen er und sein Team nun stets, wie viele Gäste in der Badi sind. Neu dürfen nur noch 3000 Menschen, anders als in bisherigen Jahren über 10000, auf den Rasen mit der legendären Aussicht aufs Bundeshaus. Das ist ein erster Versuch. «Wir müssen Erfahrungen sammeln, wie es dann aussieht», sagt Wüthrich und deutet auf die riesige grüne Fläche. «2020 haben wir aber definitiv keinen Platz für das Trocknen von Gummibooten oder zum Fussballspielen.» Angesichts der menschenleeren Wiese im Nieselregen gerade wenig vorstellbar.
«Wir nennen sie Lederhäute»
Doch was ist das? Ein Mann flitzt vorbei. In Badehose! Direkt Richtung Aare. Wüthrich winkt. «Ein Aareschwimmer. Er kommt auch im Winter.» Der Anlagenchef kennt sie alle. Denn nach manchem Stammgast könnte der Chefbademeister fast seine Uhr stellen. Sobald morgens die Tore aufgehen, liegen sie an ihrem Lieblingsplatz, um 11 Uhr am nächsten und am Nachmittag gibt es auch ein ideales Refugium. «Wir nennen sie Lederhäute», lacht er. Da gehört so mancher Plausch mit schweren Fällen von «Too much Information» dazu. Man sei gelegentlich mehr Seelsorger denn Aufsicht. «Wir hören viel von den Menschen, manchmal auch Trauriges.» In der Coronazeit muss Wüthrich bei den Gesprächen jetzt eben den nötigen Mindestabstand einhalten. Doch ihm liegt viel daran, trotz Bodenmarkierungen und abgesperrten Zugängen ein Stück Normalität in den Badebetrieb zurückzubringen. Denn schliesslich sei die Bindung der Bernerinnen und Berner zu ihren Badis sehr eng. Sommer ohne Marzili? Undenkbar! «Jetzt haben wir monatelang in unseren Wohnungen gesessen, die Leute halten es ja kaum noch aus», schätzt Wüthrich. Dennoch wäre er persönlich damit klargekommen, wäre das Marzili 2020 nicht aufgegangen. Er hat immer genug zu tun, zum Beispiel durch Unterhaltsarbeiten. «Ich hätte im Sommer etwas mehr Freizeit gehabt», lächelt er lausbübisch und winkt ab. «Nein, ein Bad zwischendurch tut uns allen gut. Das gehört in Bern einfach dazu.» Deshalb bleiben die Bäder wie Lorraine, Weyermannshaus und Marzili weiterhin gratis. Beat Wüthrich findet das wichtig: «So kann sich jeder den Eintritt leisten, egal aus welcher sozialen Schicht.»
Eigenverantwortlichkeit statt Badipolizei
Er schätzt, dass sein 25-köpfiges Team und er diese Saison mehr zu tun haben werden als üblich, schon allein weil viele 2020 ihre Ferien in der Schweiz verbringen wollen. An kritischen Punkten könnte es eng werden. Die Badipolizei wollen sie trotzdem nicht spielen, setzen stattdessen auf Eigenverantwortlichkeit der Gäste. Auf grossen Displays und Plakaten sind die neuen Regeln sehr präsent im Bad. Wie konsequent sich alle daran halten werden, weiss Wüthrich nicht. Er denkt, dass nur wenige schwarze Fische eine Warteschlange am Eingang durch die Aare umschwimmen werden. «Wir werden an den Ausstiegen jedenfalls nicht Leute kontrollieren», sagt er.
Früher war er ein Beckenrowdy
Bei dem einen oder anderen Regelbrecher ist Wüthrich nachsichtig. Hat er als Jugendlicher doch seinen Anlagenchef-Vorgänger Peter Hager manchmal gefoppt und ist mit der Clique abends nach der Schliessung vom Turm ins Becken gesprungen. «Wir wetteten immer, wer die meisten Sprünge schafft, ohne von ihm erwischt zu werden. Meistens ging es keine 15 Minuten, bis er angelaufen kam. Und wehe, man war nicht schnell genug aus dem Becken draussen.» Anders als es das Klischee des bösen Bademeisters mit der Trillerpfeife besagt, setzen er und seine Kollegen auf Menschenverstand und Pädagogik. «Doch der Spass hört da auf, wo man etwas kaputt macht und andere gefährdet.» Meist helfe es schon, wenn die Krawallmacher sich mal zwei Stunden vor dem Eingangstor abkühlen müssten. Oder gleich in der Aare. Daniel Kochs Satz «Die Aare ist bebadbar» findet der Bademeister übrigens sehr witzig und absolut zutreffend. «Der Spruch wird sicher für die Ewigkeit sein, wie Ogis Freude herrscht.» Obwohl Wüthrich zugibt, eigentlich lieber zu fischen und zu segeln, hat er dieses Jahr auch schon einen Aareschwumm gewagt. «Meine älteste Tochter ist grosser Aare-Fan. Mit ihr war ich bei 16 Grad Wassertemperatur drin. Aber nur zwei Stägeli.»
Michèle Graf