Kurt Aeschbacher, der das Schweizer Fernsehen als innovativer Moderator und empathischer Talkmaster geprägt hat, blickt auf aktive und bewegende 75 Jahre zurück.
Sie begannen Ihre Talkshow immer mit dem Satz «Aeschbacher – diä Sändig, womä niä numä us Längwili luägt». Haben Sie sich in den 785 Ausgaben auch selbst nie gelangweilt?
Nein, jede Sendung war eine Herausforderung. Meine Ansprüche an mich und die Erwartungen des Publikums führten dazu, dass ich immer gut vorbereitet und fokussiert an die Sache heranging. Für Langeweile war kein Platz.
Waren Sie nervös?
Ja, ich bin es heute noch, vor jedem Auftritt, erst kürzlich wieder, als die Matinée im Luzerner Kleintheater nach der Sommerpause wieder startete. Es ist jedes Mal eine Konfrontation mit der eigenen Unsicherheit. Kann ich es noch, kommt das Publikum trotz des schönen Wetters, bin ich aufmerksam genug?
Kennen Sie überhaupt so etwas wie Langweile?
Ich finde den Ausdruck zu negativ besetzt. Ich finde es wichtig, zwischendurch lange Weile, also Zeit für sich zu haben, denn es trägt dazu bei, dass man nicht am – in unserer Gesellschaft fast schon seuchenartig um sich greifenden Burnout – erkrankt. Wer sich Zeit gibt, um zu verweilen, kann wieder neue Kraft schöpfen. Ich finde es zum Beispiel wichtig, jeden Tag einen Spaziergang zu machen und dabei seine Gedanken neu zu ordnen.
Hat das eine besondere Qualität, wenn man immer so aktiv, vielleicht sogar rastlos war?
Ich denke nicht, dass ich rastlos bin, aber ich habe schon immer gerne gearbeitet. Es ist mir auch jetzt noch wichtig, mir jeden Tag neue Aufgaben zu stellen. Umso mehr als wir dank des medizinischen Fortschritts und unserer Lebensumstände fast doppelt so alt werden wie unsere Vorfahren. Mit dieser geschenkten Zeit will ich etwas Sinnvolles tun, etwas, das mich geistig und körperlich fit hält.
Wie haben sich Ihre Tätigkeiten verändert, seitdem Sie sich vom Fernsehen verabschiedet haben?
Sie haben sich stark in Richtung «Pour la gloire de la patrie» entwickelt. Das Geld ist nicht die entscheidende Motivation etwas anzupacken. Ich engagiere mich für verschiedene soziale Projekte. Aber grad alles möchte ich nicht gratis machen. Schliesslich haben wir keine Ölquelle im Garten, die fröhlich vor sich hin sprudelt. (Lacht)
Wofür engagieren Sie sich konkret?
Ich mache das Magazin «50plus», das jeder vernünftige Geschäftsmann schon längst aufgegeben hätte, weil gedruckte Medien kaum mehr rentieren. Ich habe dafür noch nie einen Rappen Lohn bezogen. Aber es ist eine sinnvolle Aufgabe, die mich zwingt, mich journalistisch mit Themen auseinanderzusetzen, die ich für wesentlich halte. Meine Arbeit als UNICEF-Botschafter ist unserer privilegierten Lage geschuldet und der daraus erwachsenen Verpflichtung, anderen Menschen zu helfen. Aber auch im Alltag kümmere ich mich um Leute, die Unterstützung brauchen.
Nehmen Sie sich nun auch mehr Zeit für kulturelle Anlässe oder andere Genüsse?
Ich war stets ein begeisterter Opern- und Konzertgänger. Da hat sich nichts geändert. Kunstausstellungen faszinieren mich seit meiner Jugend. Unser Ferienhaus in Frankreich war immer schon ein Treffpunkt für unsere Freunde. Deshalb glaube ich, dass man sich nicht erst nach der Pensionierung um Freundschaften und Hobbies kümmern darf. Wer im Leben nur mit Menschen am Arbeitsplatz verkehrt, wird wohl im Alter ziemlich einsam. Wer sich erst nach dem Rückzug aus dem Arbeitsalltag neu erfinden muss, läuft Gefahr, sich zu langweilen. Ich jedenfalls möchte auch jetzt mein Leben nicht ohne herausfordernde Aufgaben fristen. Dazu treibt mich meine Neugier.
Was bedeutet Ihnen Ihr 75. Geburtstag?
Ich bin überrascht, dass das öffentliche Interesse daran so gross ist. Das Leben ist für mich ein kontinuierlicher Prozess, daran ändert auch eine Jahrzahl nichts. Der einzige Geburtstag, den ich bedrohlich fand, war für mich mein 29. Geburtstag. Er löste meine erste Lebenskrise aus, weil ich glaubte, dass ich dann mit 30 uralt sein würde. (Lacht)
Nehmen Sie Geburtstage trotzdem zum Anlass, Feste zu feiern?
Nein, überhaupt nicht. Ich werde mit Leonardo, meinem Partner, einzig fein Nachtessen gehen. Nur zum 70. Geburtstag habe ich etwas Spezielles gemacht: Ich schenkte mir eine Ausstellung einiger meiner Bilder, die sich sonst in einem Lager befinden. Der überwiegende Teil meiner Sammlung hat leider bei uns in der Wohnung keinen Platz. Es war so spannend, endlich wieder viele der Werke, ausgewählt von einem Kurator, beieinander in einer musealen Ausstellungshalle zu erleben.
Hängen Sie zuhause immer wieder andere Werke auf?
Ja, allerdings stelle ich mir dabei immer wieder die Frage, wie sich diese Sucht, stets Neues kaufen zu wollen, endlich kurieren liesse. Kunst einzulagern, macht ja wirklich keinen Sinn. Aber bisher habe ich noch keinen Weg gefunden, meine Begeisterung für ein neues Bild zu therapieren.
Sie wurden 1948 geboren. Wie war Ihre Kindheit im Berner «Breitsch»?
Unspektakulär. Ich war immer sehr angepasst und bewältigte meine Schulzeit ohne grosse Mühe, bevor ich nach der Matura relativ ratlos vor der Frage stand, wie es nun weitergehen sollte.
Weshalb hat ein so kulturaffiner Mensch wie Sie schliesslich Wirtschaft studiert?
Eigentlich wäre ich extrem gerne Arzt geworden, doch hätte ich dafür das Latinum nachholen müssen. Mein Vater riet mir zu Jura, doch interessierte mich das weniger, auch war ich etwas zu faul dafür. Ich entschied mich für Wirtschaft, weil ich glaubte, dort am einfachsten durchs Studium zu kommen. Allerdings hatte ich meine Mathematikschwäche nicht bedacht. Ich kann es mir deshalb bis heute nicht erklären, wie ich die Statistikprüfung bestanden habe. Es muss sich bei den Resultaten um eine Verwechslung gehandelt haben. (Schmunzelt)
Wie kam es, dass Sie nach dem Lizenziat gleich Vizedirektor der Grün 80 wurden?
Ich arbeitete beim Architekturbüro Burkhardt & Partner in Basel als Assistent der Geschäftsleitung. Ein einfacher Job, bei dem ich sehr viel gelernt habe. Als einer meiner Vorgesetzten neuer Direktor der kriselnden Gartenbauausstellung wurde, nahm er mich mit. Obwohl ich noch jung war, glaubte er an mich und vertraute mir Aufgaben an, von denen ich noch keine Ahnung hatte, wie ich sie lösen sollte. Eine grossartige Chance, die belegt, dass das Leben aus Zufällen besteht und man sich manchmal nur bücken muss, um das aufzuheben, was einem zugefallen ist.
Welchen Anteil hatten Sie daran, dass die Grün 80 in verschiedener Hinsicht Pionier war und schon 13 Jahre vor «Jurassic Park» einen Beton-Dinosaurier im Park hatte?
Viele Ideen sind aus den Diskussionen im Team entstanden, wobei Hans-Peter Ryhiner und ich das gemeinsame Ziel hatten, das Interesse auf Themen zu lenken, die gesellschaftlich noch nicht im Fokus standen, wie etwa Natur und Nachhaltigkeit. So rangen wir der Migros ab, dass sie den «Park im Grünen» auch nach der Ausstellung noch hundert Jahre in Stand hält.
Sogar Queen Elisabeth II. hat die Grün 80 besucht. Was ist davon in Ihrer Erinnerung haften gelieben?
Die Königin von England kam in Begleitung ihres Gatten, den das Ganze jedoch überhaupt nicht interessierte. So haben wir zwei separate Programme gemacht. Während die Queen mit dem Pflanzen von Bäumchen beschäftigt war, habe ich mit Prinz Philip und seiner Begleitung einen separaten Rundgang gemacht und dabei seinen durchaus rustikalen Humor genossen.
Was führte Sie zum Schweizer Fernsehen?
Ein weiterer Zufall. Ich war ein halbes Jahr regelmässig in Kontakt mit dem Vorabendmagazin «Karussell», das vorurteilsfrei über die Grün 80 berichtet hatte. So sagte ich gerne zu, als man mich danach fragte, ob ich das Moderatorenteam ergänzen möchte.
Wurden Sie für Ihre Fernseharbeit ausgebildet?
Nein, es war alles «Learning by doing» oder besser gesagt «Learning by making mistakes»! (Lacht)
Welches waren Ihre Lieblingsideen, mit denen «Karussell» das Publikum überraschte?
Das Karussell-Team war zu jener Zeit wohl die innovativste Truppe des Schweizer Fernsehens. Wir haben 24 Stunden Reportagen auf einem Bauernhof oder beim Zirkus Knie gemacht. Wir zeigten, was vor und während der Aufführung des Balletts «Schwanensee» vor und hinter der Bühne passierte. Dies wurde parallel auf zwei Kanälen gesendet. Wenn man zwei Fernsehapparate nebeneinanderstellte, konnte man auf dem einen Bildschirm den Auftritt einer Tänzerin in der Aufführung verfolgen und auf dem anderen, wie sie sich hinter den Kulissen völlig ausgelaugt und mit blutenden Füssen auf den Weg in die Garderobe machte.
Das Innovativste, was Sie kreiert und moderiert haben, war aber 1987 bis 1994 die Infotainment-Show «Grellpastell». Wie würden Sie Ihr Konzept beschreiben?
Ich wollte beweisen, dass sich Unterhaltung auch mit wichtigen Themen unserer Gesellschaft auseinandersetzen kann, Gespräche unterhaltend sein können und Unterhaltung auch provozieren darf. Wir haben für jede Sendung ein Thema gewählt, das wir von unterschiedlichen Seiten beleuchteten.
Können Sie ein Beispiel machen?
Zum Thema Tierrechte und Pelze haben wir eine Modenschau inszeniert, bei der die Models am Anfang chic gekleidet über den Laufsteg schritten. Dann kam immer mehr Pelz dazu und am Ende waren sie nur noch in blutige Fleischstücke gehüllt. Die Pelzhändler waren entsetzt und haben vor dem Fernsehstudio demonstriert, aber meine Chefs liessen mich gewähren. Ich wurde später sogar vom Bundesgericht wegen Verletzung von religiösen Gefühlen verurteilt. Dies, weil die Theologin Uta Ranke-Heinemann in unserer Sendung den Papst als Mörder bezeichnet hatte, weil er den Gläubigen trotz Aids verbot, Kondome zu benutzen.
Ihr Markenzeichen bei «Grellpastell» waren Ihre schrillen bunten Anzüge. Wo hängen die heute?
Die sind für gute Zwecke immer wieder an Auktionen und Bazaren verkauft worden.
Sie haben Ihr Interesse am gleichen Geschlecht schon in der Mittelstufe bemerkt. War es später mit ein Grund für Ihren Umzug nach Basel und Zürich, die damals wohl eine fortschrittlichere Haltung zur Homosexualität hatten als Bern?
Nein, ich lebte während des Studiums zu Hause und wollte danach auf eigenen Beinen stehen. Mir war bewusst, dass dies nur ausserhalb von Bern möglich sein würde, da mich meine Eltern verwöhnten und weiter unterstützen würden – unabhängig davon, ob ich es wollte oder nicht. (Lacht) Statt ins Ausland, wofür mir der Mut fehlte, zog ich zuerst nach Basel, um Distanz zum Elternhaus zu gewinnen. Mein Vater hat mich trotzdem fast jedes Wochenende besucht, mal mit, mal ohne Mutter. Ihm war diese Nähe einfach sehr wichtig.
Weshalb sind Sie weder beruflich noch privat jemals nach Bern zurückgekehrt?
Ich habe an den neuen Orten intensiv Wurzeln geschlagen. Ausserdem wäre eine Rückkehr nach Bern wie eine Wiederholung von etwas Altem gewesen und das entspricht mir nicht.
Da Sie in allen Generationen eine beliebte Persönlichkeit sind, hat Ihr öffentliches Coming-out 1997 vielen homosexuellen Menschen Mut gemacht, Ihre Neigung ebenfalls offen zu leben. War dieser Schritt auch für Sie mit 49 noch eine Befreiung?
Dass ich schwul bin, war nie ein Geheimnis. Seit meinem 18. Lebensjahr nicht. Darüber habe ich alle meine Arbeitgeber informiert, genauso wie meinen Freundeskreis. Dass ich mit einem öffentlichen Coming-out zugewartet habe, als ich beim Fernsehen arbeitete, hatte andere Gründe. Ich wollte nie primär über meine Sexualität wahrgenommen werden. Ich wollte nicht bloss der schwule Paradiesvogel am Bildschirm sein, sondern dem Publikum – und mir – zuerst beweisen, dass ich als Mensch meine Aufgaben erfülle. Wenn dann jeweils Journalisten nach meiner sexuellen Ausrichtung fragten, habe ich daraus nie ein Geheimnis gemacht. So wollte ich vermeiden, nach einer Schlagzeile nur noch aufs Schwulsein reduziert zu werden. Ich wollte damit die Kontrolle über mein Privatleben behalten.
Eigentlich erstaunlich, dass sich alle an Ihren Wunsch gehalten haben, aber echt schweizerisch.
Ich habe das als Ausdruck von Respekt und Wertschätzung empfunden. Einige Journalisten dürfte es aber auch etwas verunsichert haben, dass ich so offen antwortete.
Reinhold Hönle
PERSÖNLICH
Kurt Aeschbacher wurde am 24. Oktober 1948 in Bern geboren und wuchs im Quartier Breitenrain auf. Er studierte Wirtschaft, wurde Vizedirektor der Gartenbauausstellung Grün 80 und machte sich anschliessend als sympathischer, kreativer und mutiger Fernsehmacher mit Formaten wie «Karussell», «Grellpastell» und «Casa Nostra» einen Namen. Zuletzt erfreute sein Interesse an spannenden Menschen und ihren Geschichten das TV-Publikum in der Talkshow «Aeschbacher». «Aeschbi», wie er im Volksmund oft genannt wird, wohnt in Zürich und teilt sein Leben seit zehn Jahren mit seinem eingetragenen Partner Leonardo Reinau.