Ursula Zürcher: Die Frau, der die Berner vertrauen

Für Nez Rouge beginnt jetzt die Hauptsaison. Die Organisation bringt Menschen, die nicht mehr Auto fahren wollen, gratis nach Hause. Ursula Zürcher ist eine der vielen Fahrerinnen.

Seit 2012 fährt Ursula Zürcher in den Regionen Bern und Thun Menschen in deren Fahrzeug heim. Die 66-jährige pensionierte technische Redaktionsassistentin hat während 35 Jahren in Bern gearbeitet und gelebt. «Als vor fünf Jahren mein Mann starb, hatte ich plötzlich viel Zeit für mich», erinnert sich Zürcher. Dann habe sie in der Zeitung von Nez Rouge gelesen. «Ich dachte sofort, das wäre doch etwas für mich.» So meldete sich die inzwischen in Brenzikofen wohnhafte Zürcherin bei der Regionalstelle in Thun und fuhr kurz darauf ihre ersten Einsätze als NezRouge-Fahrerin. Seit 2013 ist sie auch in der Region Bern unterwegs.

Einmal war es knapp…

«Es ist eine sehr schöne Arbeit», sagt Ursula Zürcher, als der Bärnerbär sie in der Emil Frey AG Autogarage in Ostermundigen trifft. «Ich schenke den Leuten Zeit. Viele erzählen mir auf der Heimfahrt ihre Lebensgeschichte. Manchmal sind auch traurige Schicksale dabei, welche mir nach der Arbeit noch nahegehen.» Mithilfe ihres Partners könne sie diese Erlebnisse aber verarbeiten. Die aufgestellte Rentnerin verbringt ihre Nächte während der Festtage gerne in anderer Leute Autos. «Ich hatte noch nie ein schlechtes Erlebnis, noch nie ist jemand handgreiflich geworden», erklärt Zürcher. Auch habe sich noch nie jemand im Auto übergeben – wobei es einmal sehr knapp war: «Der Gast meinte nur, ich solle schnell anhalten, dann hat er schon die Tür aufgemacht.» Dafür hat sie schon so einige schö- ne Momente erlebt: «Etwa, wenn ich an Weihnachten eine Familie heimfahre, dann erzählen mir die Kinder immer, was sie alles geschenkt bekommen haben», erzählt sie mit einem Lächeln. Zudem habe sie schon zwei Jahre nacheinander die gleichen Jungs heimgefahren. «Als ich angekommen bin, meinte einer der jungen Leute: ‹Hey, du hast uns doch schon letztes Jahr heimgefahren!› So war es dann auch», lacht Zürcher.

«Ich glaube, hier wohne ich»

Viele der Heimgefahrenen seien sowieso nicht komplett berauscht, sondern hätten nur ein, zwei Gläser zu viel getrunken und wollten den Führerschein nicht verlieren, schildert die 66-Jährige. Doch auch hier gebe es Ausnahmen: «Ein Gast war so betrunken, dass er nicht mehr wusste, wo er wohnte. Wir fuhren dreimal an seinem Haus vorbei, bevor er meinte: ‹Moment, ich glaube hier wohne ich.›» Zürcher macht es nichts aus, über die Festtage zu arbeiten. Einzig am 25. Dezember feiert sie gemeinsam mit ihren zwei Töchtern und drei Enkelkindern in Plaffeien FR. «Dann lasse ich mich ebenfalls von meinen Kollegen von Nez Rouge heimfahren», lächelt sie. Die Arbeit, die sie macht, ist freiwillig. «Wir erhalten dafür nichts, wenn wir Trinkgeld bekommen, dann geht dies an die Stiftung.» Die meisten würden so zwischen 20 und 50 Franken zahlen – es gebe aber natürlich auch jene, die nichts zahlen. Am meisten Trinkgeld habe sie für eine Fahrt von Bern nach Meiringen erhalten, 150 Franken, was gleichzeitig ihre längste Fahrt war.

Eine Busse gab es schon

Ursula Zürcher hat in ihrer langen Autofahr-Karriere noch nie einen Unfall gehabt, erzählt sie stolz. Die eine oder andere Busse wegen Geschwindigkeitsübertretungen habe es aber schon gegeben. Neben Nez Rouge fährt die Brenzikoferin auch für den Fahrdienst vom Schweizerischen Roten Kreuz. «Ich schätze den Kontakt mit den Menschen sehr, das hält mich jung.»

Annina Häusli

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