Portrait Remo Ryser (2)

«Väter trauen ihren Kindern tendenziell mehr zu!»

Väter bringen häufig eigene Perspektiven in die Betreuung und Erziehung mit ein. Väterberater Remo Ryser von der tter- und Väterberatung Kanton Bern verrät in unserem Gespräch, wofür er sich einsetzt.

Sie sind der erste männliche Berater unter 85 Beraterinnen im Kanton Bern. Wie kam es dazu?
Wir wollten vor ein paar Jahren direkt von den Vätern hören: «Was braucht ihr von uns?» Und die Ansage der Väter war deutlich: «Wir wollen uns mit anderen Vätern austauschen können und die Wahl haben, unsere Fragen auch von Mann zu Mann zu besprechen.» Denn das fällt bei gewissen Themen leichter, das geht auch mir so. Jetzt gibts bei uns zusätzlich zu allen anderen Angeboten, die natürlich auch Vätern offenstehen, ein Vätertelefon, einen Online-Vätertalk und Vater-Kind-Treffs.

Wo holen Sie sich selbst als einziger Väterberater fachlichen Rat?
Gute Frage! Schliesslich ist eine meiner Hauptbotschaften an die Väter: «Bleibt mit euren Fragen nicht alleine!» Deshalb habe auch ich mir ein Netz an Fachkolleginnen und -kollegen aufgebaut, mit denen ich mich regelmässig austauschen und bei spezifischen Fragen anklopfen kann.

Wie sieht der «ideale» Familienvater aus? Gibt es ihn überhaupt?
Wenn ich höre, wieviel Druck und Enge bei Frauen der Ruf nach der perfekten Mutter erzeugt, finde ich es keine gute Idee, nun ein Bild des perfekten Vaters zimmern zu wollen. Väterlichkeit kann vielseitig gelebt werden. Vereinfacht ausgedrückt würde ich sagen: Gute Väter kümmern sich und stellen sich ihrer Verantwortung, eine Balance zu finden zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und jener ihrer Kinder, der Mutter und dem Job.

Mit welchen häufigsten Anliegen kommen die jungen Väter zu Ihnen?
Die Fragen drehen sich häufig darum, dass die Väter ihren eigenen Ansprüchen, jenen der Kinder oder ihrer Partnerin nicht genügen können. Das frustriert sie, setzt sie unter Druck – oder positiv formuliert: Es motiviert sie, genauer hinzuschauen. Wens genauer interessiert: Eine Liste mit den Top-7-Väterthemen gibts auf unserer Väterseite zu lesen.

Begegnen Männer dem Kleinkind grundsätzlich anders als Frauen?
In der Tendenz trauen Väter ihren Kindern oftmals mehr zu. Das zeigt auch die Spielforschung: Väter spielen im Schnitt wilder und körperbetonter mit ihren Kindern. Das trifft vor allem auf das Spiel mit den Söhnen zu. Hier werden also auch Geschlechterstereotypen weitergegeben. Grundsätzlich besteht jedoch Konsens: Für die Kinder sind unterschiedliche, vielfältige Erfahrungen ein Entwicklungsmotor. Es sind wohl eher die Eltern als die Kinder, die manchmal mit unterschiedlichen Herangehensweisen hadern. Und subtil sitzt halt doch oftmals noch in den Köpfen: So wie es die Mutter macht, ist es doch etwas richtiger..

Wie hat sich die Rolle der Berner Väter in den letzten 10 bis 20 Jahren verändert?
Der Blick in die Statistiken bestätigt, was im öffentlichen Leben sichtbar wird: Väter sind deutlich präsenter und gestalten den Familienalltag aktiver mit. Nur: Gleichzeitig bleibt das Ideal des beruflich erfolgreichen Familienernährers im Raum. Das bringt viele Väter in einen Zwiespalt: Entweder haben sie gegenüber ihrer Partnerin oder ihren Kindern Schuldgefühle oder gegenüber ihrem Arbeitgeber. Hier wünschte ich mir sehr, dass Väter und Elternpaare da und dort aktiver Gegensteuer geben würden, um nicht plötzlich ein Familienleben zu führen, das sie so eigentlich nie wollten.

Wie können gerade berufstätige Väter Familie und Arbeit miteinander vereinbaren?
Ein rundum geschmeidiges, konfliktfreies Ineinandergreifen von Job und Familie empfinde ich als eine Illusion, die uns vermitteln will: Du musst nur noch mehr leisten, dann bringst du das alles ohne Abstriche unter einen Hut. An diesem Anspruch können Väter – und Mütter – nur scheitern. Denn selbst wenn sich gerade einiges tut in Wirtschaft und Politik: Die Ansprüche von Familie und Arbeitgeber sind leider immer noch in vielen Fällen wenig vereinbar. Meine Botschaft an die Väter: «Geht ins Gespräch, verhandelt und reiht euer Vatersein nicht einfach auf Platz zwei ein, wie vom eigenen Vater erwartet und vorgelebt wurde. Wie möchtet ihr, dass einmal eure Kinder über euch erzählen werden?» Und die dazugehörende Botschaft an die Mütter: «Wenn ihr möchtet, dass eure Männer und Väter präsenter sind, fordert das klar und deutlich ein, traut es ihnen zu und gebt ihnen dazu den Platz, den sie brauchen!»

Die Coronakrise beherrscht auch das Familienleben. Wie gehen Väter da-mit um, wenn sie vermehrt zuhause arbeiten?
Auffällig ist, dass die Beratungsanfragen für Gespräche mit mir gerade durch die Decke gehen. Väter sind einerseits durch Homeoffice näher am Puls, entsprechend auch mehr gefordert – und stossen natürlicherweise da und dort an ihre Grenzen. Andererseits nehme ich wahr, dass nicht wenige Männer diese spezielle Zeit für eine Standortbestimmung nutzen. Sie fragen sich: «Bin ich der Vater, der ich sein möchte? Was ist wirklich wichtig?» Ihnen geht es darum, ihre Väterideale konsequenter im Alltag zu leben. Nicht morgen, sondern jetzt.

Peter Widmer

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