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«Viele Junge haben wieder Bock auf Vinyl»

Die schwarze Scheibe feiert ein Comeback. Der Berner Serge Berthoud hat damit aufs richtige Pferd gesetzt. Am 1. Juni feierte er das fünfjährige Bestehen seines Plattenladens. Musikalisch mag er fast alles.

Flaniert man in den Lauben der Rathausgasse, lässt nichts auf einen Vinyl- und CD-Plattenladen schliessen, denn Serge Berthouds Geschäft befindet sich in einem typischen gewölbten Altstadtkeller. In der Berner Musikszene ist der 49-jährige Berner kein Unbekannter, arbeitete er doch für 17 Jahre zusammen mit Jürg Trindler bei Chop Records. Als dieser wegen des Grossumbaus des Kaiser-Hauses an der Amthausgasse den Laden schliessen musste, beschloss Berthoud, sich selbstständig zu machen und mit einem eigenen Geschäft weiterzufahren.
Musik ist sein Leben, diese Passion wollte er nicht über Bord werfen. Mit einem redimensionierten Konzept und übernommenem Mobiliar startete er schliesslich am 1. Juni 2017 an der Rathausgasse 55 «mit purer Lust und Energie, die ich nicht verloren habe», wie er mit funkelnden Augen erzählt. Serge and Peppers Records heisst sein Reich.

«Nicht anbiedernd mainstreamig»
Hat denn ein Laden mit Vinylplatten und CDs in der heutigen Streaming-Zeit eine Zukunft? Ja, davon ist Serge Berthoud fest überzeugt, wenn man ihn mit einem vernünftigen, realistischen Konzept betreibe. Was heisst vernünftig? «Es hätte wenig Sinn, in Bern eine Fläche auf zwei Etagen zu einem fünfstelligen Mietpreis und mit sieben Angestellten zu betreiben!», antwortet er.
Deshalb beschränkt er sich auf seinen 44 Quadratmeter grossen Laden «unter Boden», steht allein hinter der Theke und führt ein Angebot mit möglichst vielen verschiedenen Stilrichtungen wie Pop, Blues, Indie-Rock, Country, Metal, Funk. Sich bloss in einer Nische zu bewegen und beispielsweise nur Reggae anzubieten, wäre in einer Stadt wie Bern zu riskant. «Das müsste sich querfinanzieren, zum Beispiel zusammen mit Kleidern oder einem Café», sagt der ausgebildete Kaufmann. «Ich kann aber nicht alles im Laden haben. Die grössere Kunst ist, von Woche zu Woche zu entscheiden, was ich nicht ins Sortiment nehme. Die Musik muss gut sein und ich dahinterstehen können. Mein Angebot ist nicht anbiedernd mainstreamig», fasst er zusammen. So lautet sein Slogan: «Gute Musik ist hier zuhause.»

Die Zukunft der Kassette
Für Serge Berthoud ist die Vinylplatte ein Kulturgut und er glaubt fest an ein Revival, wenn auch nur für eine (grösser werdende) Minderheit. «Seit etwa sieben Jahren ist Vinyl wieder auf dem Vormarsch und findet ihre Liebhaber.» Besonders freut ihn, dass nicht wenige unter 20-Jährige «wieder Bock auf Vinyl» hätten. Viele verspürten zurzeit eine gewisse Überdosis an Digitalisierung. Das Lauschen einer Langspielplatte sei ein bewusster, überlegter Akt: «Man setzt die Nadel des Plattenspielers auf die LP und hört sie bis zu deren Ende. Es ist etwas Haptisches, mit schönem Cover, vielleicht noch mit informativem Zusatz-Booklet.»
Eine nostalgische, romantische Komponente spricht er der Vinylplatte nicht ab. Er erzählt von langjährigen Kunden, die Ende der 1980er-Jahre, als die Compact Disc den Markt eroberte, den Sprung zur CD nicht gemacht hätten und bei Vinyl geblieben seien. Zukunftschancen gibt Serge Berthoud eher der Vinylplatte als der CD. «Stand heute», fügt er hinzu, «who knows?» Heute würden die Neuheiten fast aller etablierten Musikschaffenden wieder auf Vinyl produziert, erklärt Serge Berthoud. «Nicht selten bleibt dann die CD aussen vor.»
Wie sieht er die Zukunft der Kassette? In seinem Laden finden sich in einem Gestell etwas verloren einige Exemplare. «Wenn wir von analogen Tonträgern sprechen, gehört die Kassette wieder dazu. Aber an ein eigentliches Revival glaube ich weniger, obschon in den USA die Kids zurzeit voll darauf abfahren, weil viele Independent-Labels ihre Neuheiten wieder auf Kassetten produzieren», so seine vorsichtige Prognose. «Aber ich verfolge die Entwicklung mit wachen Augen!»

Was dem Vinyl-Liebhaber Sorgen bereitet
Privat hört sich Serge Berthoud fast alles an, «ganz nach dem Lust-Prinzip», wie er schmunzelnd ergänzt. «Ich habe keine Berührungsängste. Wenn ich bei der Darbietung eines sechsstimmigen Männerchors Hühnerhaut kriege, ist das ein gutes Zeichen!»
Er macht nicht halt vor klassischer Musik: «Kürzlich hörte ich mir die Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg an – berührend!», gerät er ins Schwärmen. Mühe bekundet der Musikkenner mit deutschen Schlagern der letzten 30 Jahre, «hochgepumpt und kommerzialisiert wie beispielsweise die Helene-Fischer-Shows», denen er wenig Sympathien entgegenbringt. Dem Rechtsrock mit neonazistischem Gedankengut steht er ablehnend gegenüber. «Solche Produkte finden Sie nie in meinem Laden», sagt er dezidiert.
Sorgen bereiten dem Vinyl-Liebhaber zurzeit die weltweiten Lieferverzögerungen mit langen Lieferfristen und die Preisentwicklung. Die steigende Nachfrage nach Vinyl generiere bei den Major-Labels massive Preiserhöhungen. «Das ist keine charmante Entwicklung», bedauert er. «Aber ich bleibe täglich dran, weiterhin mit purer Lust und Energie – wie vor fünf Jahren!»

Peter Widmer

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