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Vom Gebiss bis zum Kinderwagen

Fundus des Verlorenen: Im Fundbüro der Stadt Bern lagert Kitsch und Krempel, Wertvolles und Geliebtes in etlichen Regalen. Leiter Norbert Esseiva wundert sich, was Menschen so alles verlieren.

Sogar das Stofftier liegt noch drin: Der blaue Kinderwagen im Lager des Fundbüros wirkt wie gerade erst abgestellt. Nur ein vergilbter Zettel am Griff verrät, dass er schon seit einiger Zeit auf seine Besitzer wartet. Ob das Baby, das hierin lag, inzwischen schon laufen kann?

Bald ist die Gnadenfrist des Wägelis abgelaufen. Denn das Fundbüro der Stadt Bern verwahrt aufgefundene Gegenstände in der Regel noch ein Jahr. Alle Fundgegenstände sind online registriert und beschrieben. Wer eine Sache vermisst, kann sie hier auch eintragen. Je genauer und spezifischer die Beschreibung, desto besser können die Mitarbeitenden den Antrag bearbeiten. Man hofft auf viele Treffer. «Wir sind ein sehr aktives Fundbüro», erklärt Norbert Esseiva, Leiter der Orts- und Gewerbepolizei der Stadt Bern, beim Rundgang im Lager am Theatergässchen.

Mit viel Spürsinn und Indizien unternehmen seine Mitarbeitenden eine Menge, um die Besitzer ausfindig zu machen und zu kontaktieren. Das Telefon läutet hier oft, ungeduldige, manchmal gar verzweifelte Nachfragen treffen ein. Heute muss die Mitarbeiterin vertrösten: «Nein, das Handy ist leider nicht aufgetaucht. Vielleicht wird es noch abgegeben.»

Eheringe, Schlüssel, Portemonnaies mit Kinderfotos darin – oft geht es um weit mehr als den Materialwert einer Sache und die Besitzer sind sehr dankbar, wenn es ein Wiedersehen gibt. «Erst heute Morgen stand ein Mann am Schalter und bekam seinen Schlüssel wieder. Ich hörte in seiner Stimme, wie froh er ist», erinnert sich Esseiva. Solche Momente motivieren das ganze Team. Und oft geht es in Bern richtig schnell: morgens verloren, nachmittags schon wieder im Fundbüro abholbereit.

«Schon ein wenig schizophren»
Für die Dienstleistung und Rückgabe berechnet das Fundbüro in der Regel fünf Prozent des Gegenstandswertes, mindestens aber fünf Franken. Dazu kommt ein Finderlohn für die Person, die die Sache abgegeben hat, etwa zehn Prozent.

Manche scheuen diese Gebühren. «Oft werden teure Mobiltelefone nicht abgeholt, obwohl die Leute zweifach angeschrieben wurden. Es gibt eben Versicherungen, die sofort ein neues Telefon zahlen. Das ist schon ein wenig schizophren.» Auch bei teuren Uhren gehe das so, meint Esseiva. Dazu kommen viele nicht abgeholte Gegenstände, die einfach günstig sind: Regenschirme, Bekleidung, Kurioses wie Masken oder eine Schachtel Blumentöpfe. «Es geht uns wohl zu gut. Verloren? Kauf ich einfach neu», sagt Esseiva zur Wegwerfgesellschaft. Ein bisschen stört ihn das schon.

Bei anderen Sachen ist er eher erstaunt, wie man sie nicht vermissen kann: «Mehrmals hatten wir beispielsweise schon Gebisse oder einen Rollstuhl.» Auch einige kostspielige E-Scooter stehen derzeit beim Fundbüro; um Velos kümmert sich die Polizei. Sonst nehmen Esseiva und sein Team so gut wie alles. «Solange es in unser Lager passt.» Dieses besteht aus rollenden Regalen, mehreren Tresoren für Schmuck, Handys und Computer und Schränken für liegengebliebene Kleidung. «Oft ist die in einem schlechten Zustand und muffelt. Deshalb haben wir eine grosse Trocknungsanlage», zeigt Esseiva.

Früher veranstaltete das Fundbüro einen Rampenverkauf für Liegengebliebenes, der sich aber als zu aufwendig erwies. Nun werden die Gegenstände nach ein bis zwei Jahren vernichtet, Wertvolles wird verkauft und die Einnahmen werden der Stadtkasse zugeführt. So mancher Kitschgegenstand landet auch als Requisite beim Stadttheater.

Entrüstung statt Dankbarkeit
Nicht die einzige Besonderheit. «Ich weiss nicht, ob sich das noch ein Land ausser der Schweiz leistet, aber hier in Bern kommen auch die Fundgegenstände von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern an, die sie im Ausland verloren haben. Die Botschaften schicken sie.» So erreicht im Sommer durchschnittlich alle zwei Wochen ein Päckchen voller Portemonnaies beispielsweise aus Barcelona das Berner Fundbüro. Oft gestohlen. «Ein Genfer, der in den Ferien seine Tasche in London verloren hat, ist dann oft überrascht, wenn er sie in Bern wieder abholen kann», so Esseiva.

Wie viele Gegenstände pro Woche abgegeben werden, kann der Leiter kaum beziffern, denn es gibt starke Schwankungen. In der Coronazeit wurde sehr wenig verloren, hingegen nach Grossveranstaltungen wie Fussballspielen, Konzerten, Fasnacht oder dem Zibelemärit werden viele Sachen abgegeben. Muss man das denn überhaupt? Esseiva zitiert das Zivilgesetzbuch Artikel 720: «Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.»

Simpel ausgedrückt: Einfach behalten darf man eine Fundsache nicht, sofern sie mehr als zehn Franken wert ist. Man kann sie während der Öffnungszeiten des Fundbüros vorbeibringen oder auch einschicken. Die SBB und BernMobil haben eigene Fundbüros.

Was dem Fundbüro oft Kopfschmerzen bereitet, ist der Datenschutz – sowohl beim Vernichten als auch beim Vermitteln. Das Team von Esseiva kann anhand von Karten im Portemonnaie oder mit der Handy-
SIM-Karte oft herausfinden, wer der Besitzer ist und unternimmt dann einen Kontaktversuch. Anstatt Dankbarkeit schallt ihm aus dem Telefonhörer manchmal Missgunst entgegen. «Woher haben Sie meine Nummer und was fällt Ihnen ein, anzurufen?»

Auch sonst ist die Arbeit dieses städtischen Büros eine Gratwanderung zwischen Kosten und Nutzen. Dank der hohen Vermittlungsquote und der Dankbarkeit der Bürgerinnen und Bürger dürfen Esseiva und sein Team aber weitermachen. Damit ganz viel Verlorenes bald nicht mehr verloren ist.

Michèle Graf

Norbert Esseiva (57) ist gelernter Schreiner und arbeitet seit 20 Jahren für die Stadt Bern. 2015 übernahm er die Leitung der Orts- und Gewerbepolizei, zu der auch das Fundbüro behört. Der begeisterte FC-Liverpool-Supporter lebt im Konkubinat.

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