Sebastian Leugger 9

Von Barbaren, bösen Avocados und unfeinen Eiern

Fleisch, Ei und Milch kommen ihm nicht auf den Teller: Sebastian Leugger isst seit zwölf Jahren vegan. Eckte er mit seiner Lebensweise früher oft an, begegnet ihm heute eine zunehmende Offenheit.

«Woran erkennt man einen Veganer? Er sagt es dir.» Solche und andere Witze quittiert Sebastian Leugger entspannt mit einem Lächeln. Er hat nach zwölf Jahren als Veganer nichts dagegen, humorvoll den Spiegel vorgehalten zu bekommen. «Wenn ein Stück wahre Beobachtung drinsteckt, etwa, dass wir Veganer in manchem stur und ernst sein können, kann ich gut darüber lachen.» So hagelt es in seinem Freundeskreis auch mal Sprüche, die der Veganer gern pariert. «Wenn sie Fleisch essen, nenne ich sie Barbaren. Aber das ist mit einem Augenzwinkern gemeint. Vorwürfe bringen nichts.» Anstatt immer zu protestieren, setzt der Veganer heute darauf, mit Sachlichkeit und humorvollen Spitzen mehr Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Mit Erfolg: Vegane Kochbücher stehen in den Küchen seines Freundeskreises, die Skepsis ist Neugierde und Experimentierfreude gewichen. Auch die Aktion Veganuary findet Leugger deshalb gut.

Emotional oft belastend

Aus seinem anfänglichen politischen Kampf für Veganismus hat er sich mittlerweile etwas zurückgezogen. Doch die Botschaft ist ihm nach wie vor wichtig. Ein Patentrezept für Veränderung habe er eben auch nicht. Den Verein Tier im Fokus unterstützt er weiterhin, steht aber nicht mehr mit Flyern in der Fussgängerzone. «Das habe ich fünf Jahre gemacht», sagt er. «Jetzt überlasse ich das Jüngeren, die mit vollem Eifer bei der Sache sind. Ich musste mit dem Engagement mal pausieren, weil es emotional belastend war.» Oft sind Diskussionen um Ernährung moralisch aufgeladen, das Thema lässt niemanden kalt. Obwohl die Verfechter des Veganismus für die rein pflanzliche Ernährung viele treffende Argumente vorbringen, lebt nur ein sehr kleiner Teil der Schweizer so. Warum? Leugger überlegt. Vegan zu leben, brauche viel Disziplin, gerade am Anfang, und ist aufwendiger. Den gewohnten Gang durch den Supermarkt könne man vergessen, neue Rezepte müssen erlernt werden, die Verdauung braucht einige Zeit, um sich umzustellen. Leugger selbst machte nach einem halben Jahr ethischer und ökologischer Überlegungen einen harten Cut mit dem Tierischen: «Irgendwann konnte ich mir nicht mehr einreden, es mache mir nichts aus, dass ein Tier für mich umgebracht wird.

Von einem Tag auf den anderen wurde ich vom Omnivor zum Veganer, ohne ein veganes Rezept auch nur ausprobiert zu haben. Das war sicher nicht der klügste Weg.» Heute lacht er darüber. Die früher geliebte braune Sauce kocht er nun einfach mit Rotwein, Pflanzenfett, Zwiebeln und Mehl. Statt Poulet gibts Sojaschnetzel.

Auch mal Pommes und Brot

Die vegane Auswahl in Restaurants nimmt ebenfalls zu. Am liebsten isst Leugger hier äthiopisch oder libanesisch. Findet er auswärts nichts Veganes, isst er auch mal nur Pommes oder Brot. Er macht keine Ausnahmen, selbst wenn der Magen knurrt. «Das Asketische liegt mir, aber ich verstehe, dass es nicht allen leichtfällt, auf bestimmte Lebensmittel zu verzichten.» Eine gute vegane Auswahl findet er in Bern im Laden Eva’s Apples. Er vermisst nichts, weder Ei noch Schinken, fühlt sich im Alltag auch dank Sport fit. Gesund und vegan? Oft muss Leugger hören, die pflanzliche Ernährung sei unnatürlich, da er zum Beispiel das in tierischen Produkten enthaltene Vitamin B12 supplementieren muss. Er winkt ab: «Unser Salz ist jodiert, damit wir keinen Kropf mehr bekommen. Schwangere nehmen Folsäure zu sich. Nicht alles in der Natur ist gut und manches Künstliche hilft uns, gesund zu bleiben.»

Und die klimaschädliche Flugavocado? Leugger nickt, er kennt auch diesen Vorwurf. «Ich esse nicht mehr Avocados als andere», schätzt der Veganer. Seine Lebensweise sei natürlich nicht in jeder Hinsicht unproblematisch. «Trotzdem ist mein ökologischer Fussabdruck klar kleiner als der eines Fleischessers. Aber wenn ich deswegen auf dem hohen Ross sitze, bin ich froh, wenn man mich wieder runterholt.» Schwierig wird es für Leugger da, wo es keine veganen Alternativen gibt. Bei Kleidung und Kosmetik wählt er stets das kleinere Übel. Auch wenn Schuhsohlen mit Kleber aus Knochenbestandteilen bestrichen sind, trägt er sie. «Immer barfusslaufen will ich auch nicht.»

Nie wieder Eier!

Mit der Zeit ist Leugger lockerer geworden. Ihm ist klar, dass nicht alle Veganer werden möchten. Dennoch hofft er, dass die Massentierhaltung abgeschafft werden kann. Wenn ein Kumpel ein Steak verdrückt , kann er es heute ertragen. «Früher war ich dann traurig und wütend, weil man nicht auf meine Argumente hören wollte. Heute sind wir auf tierische Produkte nicht mehr angewiesen. Deshalb finde ich vegan fortschrittlich und wünsche mir, dass sich alle in diese Richtung bewegen würden.» Hand aufs Herz, wird Leugger wirklich nie wieder ein Ei essen? Er schmunzelt. «Das glustet mich gar nicht. Aber wer weiss, was in fünf Jahren ist? Vielleicht falle ich ja mal auf den Kopf und finde es dann wieder fein.»

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