Roland Wälti, Fahrlehrer bei der Fahrschule Zytglogge, macht Schülerinnen und Schüler fahrtüchtig. Seit 40 Jahren. Verändert hat sich in dieser Zeit vieles. Der Verkehr, sagt der Experte, sei deutlich anspruchsvoller geworden.
Ich fahre vorsichtig auf das Übungsgelände der Fahrschule Zytglogge gegenüber dem Weyermannshaus-Bad. Schliesslich möchte ich nichts falsch machen, meine Fahrstunden liegen immerhin 45 Jahre zurück. Auf dem Parkplatz steht Roland Wälti und begrüsst mich spontan: «Hallo Peter, ich bin der Roland!» Keine Zurechtweisung, keine Korrektur – noch mal Glück gehabt! Aber wir treffen uns nicht zu einer Unterrichtsstunde, sondern zum ungezwungenen Gespräch. Der wie ein Mittfünfziger aussehende, sportliche 66-Jährige («Mein diesjähriges Ziel ist die Besteigung des Matterhorns») blickt auf eine langjährige Unterrichtstätigkeit mit weit über tausend Schülerinnen und Schülern zurück.
In die Radarfalle getappt
Die Leidenschaft für seinen Beruf ist auch nach 40 Jahren ungebrochen. «Ich treffe jeden Tag so viele junge Menschen unterschiedlichster Herkunft, was gibt es Abwechslungsreicheres?», erzählt Roland Wälti begeistert. Die grösste Herausforderung, aber auch grösste Freude empfinde er, wenn er Menschen mit Beeinträchtigung das Autofahren beibringen und ihnen so einen Traum erfüllen dürfe. Wenn sie die Prüfung bestünden, sei das Glück, aber auch die Erleichterung bei Lehrer und Schüler «total».
Nach einer Anekdote befragt, muss Fahrlehrer Wälti nicht lange überlegen: «Meine bisher älteste Schülerin war eine 62-jährige Bäuerin aus Riedern bei Bern. Mit der Handhabung des Traktors war sie längst vertraut. Aber wegen einer Krankheit ihres Mannes war sie plötzlich gezwungen, täglich die Milch in die Käserei zu fahren, und zwar mit dem Personenwagen. Während der Lektionen fuhr sie stets sehr verhalten, so dass ich sie einmal ermunterte, doch etwas Gas zu geben, was sie dann auch tat. Und prompt wurden wir geblitzt. Sie bestand darauf, die Busse selber zu bezahlen!»
Parkieren kommt am Schluss
Der Stellenwert, das Autofahren zu erlernen, sei heute gesunken, stellt Roland Wälti fest. Vor 25, 30 Jahren hätten die Jungen meist zwei Ziele gehabt: erfolgreicher Abschluss der Berufsausbildung oder des Studiums und das Bestehen der Fahrprüfung. «Heute habe ich oft den Eindruck, die Fahrprüfung werde noch so nebenbei angestrebt, weil es dazugehört.» Er vermisse etwas die Euphorie von früher, das «feu sacré» fürs Autofahren.
Wo bekunden die Fahrschüler am meisten Schwierigkeiten? Die Antwort von Roland Wälti lässt nicht lange auf sich warten: «Die Achtsamkeit auf Verkehrssituationen und andere Verkehrsteilnehmende. Mit dem Blick, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein.» Die Blicksystematik sei im komplexer gewordenen Strassenverkehr immer wichtiger geworden. «Durch schnelle E-Bikes, E-Trottinetts, durch SMS schreibende und telefonierende Autofahrende häuft sich nämlich auch das Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmenden», beobachtet der erfahrene Fahrlehrer.
Gibt es ein genderspezifisches Fahrverhalten? «Nein, überhaupt nicht», sagt Roland Wälti bestimmt und beseitigt sogleich den Mythos, dass Frauen schlechter parkieren würden als Männer. Viel wichtiger sei, wie man die Fahrausbildung angehe. «Nicht wenige Fahrschüler meinen, sie müssten gleich zu Beginn der Ausbildung perfekt parkieren können. Dabei können sie noch nicht einmal korrekt das Fahrzeug wenden», lacht Wälti. Die Basis fürs präzise Parkieren sei das sichere Rückwärtsfahren und das Kennen des richtigen Radstandes. Deshalb instruiere er das Parkieren erst gegen Ende der Fahrausbildung. Der systematische Parkier-Aufbau sei sehr wichtig. «Ich schalte die im Alltag heute sonst hilfreichen Parkassistenten beim Instruieren absichtlich aus, damit die einzelnen Schritte bewusst umgesetzt werden.»
Coronakrise hat kaum Auswirkungen
Die durchschnittliche Anzahl Fahrstunden betrage zurzeit zwischen 20 und 30 Lektionen, Tendenz steigend, erzählt Roland Wälti. Der Verkehr sei anspruchsvoller geworden, dazu käme die Instruktion der zahlreichen Assistenzhilfen im Fahrzeug. «Es ist wie beim Handy: Telefonieren kann ich schnell, aber alle die Zusatzfunktionen zu beherrschen ist die andere Sache», schmunzelt der Fahrinstruktor.
Mit 162 Lektionen brachte es eine junge Fahrschülerin auf den bisherigen Rekord. «Ich erinnere mich noch genau. Wegen sonstiger Probleme in ihrem Leben war sie sehr unkonzentriert. Trotzdem schaffte sie dann die Prüfung im dritten Anlauf, kurz vor Weihnachten bei einem nachsichtlich gestimmten Experten», schildert Roland Wälti. Es gebe aber auch Rekorde nach unten: «Bauernburschen, die mit Traktor und Anhänger perfekt manövrieren können, muss man lediglich das wachsame Verhalten im Strassenverkehr beibringen, die Handhabung des Fahrzeugs beherrschen sie aber rasch.» Solche Schülerinnen und Schüler könne man nach zehn bis zwölf Lektionen bedenkenlos zur Fahrprüfung anmelden. Von der gegenwärtigen Coronakrise mit Maskenpflicht im Auto fühlt sich Roland Wälti beruflich nicht betroffen. «Die Blicksystematik und die Phonetik werden durch die Maske nicht beeinträchtigt.» Lediglich Brillenträger hätten oft etwas Mühe, wenn die Maske nicht dicht genug anliegt und sich die Brillengläser beschlagen.
Peter Widmer