Schmid

Vor Mussolini geflüchtet und im Marzipan ihr Glück gefunden

Ihr Leben war geprägt von harter Arbeit, Erfolgen mit Marzipan und Misserfolgen im Detailhandel. Lydia Schmid-Cortelier aus Oberbottigen feierte am 13. Juni ihren 100. Geburtstag. Ein Glückspilz erinnert sich.

Sie freute sich seit Jahren auf ihr Jubiläum. Lydia Schmid-Cordelier sitzt aufrecht und strahlend auf dem Sofa in ihrer gemütlichen Stube. Zu Besuch sind ihre drei Töchter Helen Bovet (76) aus Worb, Dorli Laplante (73) aus Tucson, Arizona und Lilian Soller (70) aus Neuenegg. Liebevoll helfen sie der Mamma in den Erinnerungen zu kramen und erzählen zahlreiche witzige und bemerkenswerte Anekdoten aus dem Leben der Jubilarin. Aufgewachsen ist Lydia Schmid-Cordelier in Italien. Ihre Eltern wanderten schon früh aus und führten in Mailand eine kleine Lederfarbrik. Leder war damals in Italien gross in Mode, mit ihrer Fabrik machten die Cordeliers ein kleines Vermögen. Stolz fuhr die Familie im dunkelroten Autobianchi-Cabriolet mit roten Ledersitzen durch die Stadt, ihre Welt war in Ordnung. Bis zum Zeitpunkt als Mussolini vor dem zweiten Weltkrieg die Macht ergriff. In Sorge um ihre Kinder schickten die Eltern Lydia und ihre Schwester Helen zurück nach Bern zur Oma. Lydia besuchte im Laubeggschulhaus die Sekundarschule, lernte Deutsch und war froh, dass ihre Eltern kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges auch in die Schweiz zurückkehrten. «Das viele Geld der Eltern verlor im Krieg seinen ganzen Wert, lange standen Koffer voller italienischer Lira bei uns auf dem Estrich, bis unser Grossvater sie eines Tages entsorgte». Eine der Töchter schildert eindrücklich das harte Kriegsschicksal. Lydia besuchte zu dieser Zeit ein Internat in Estavayer-le-Lac, lernte Französisch und schloss die Handelsschule ab. Dank dieser Ausbildung und ihrem kaufmännischen Talent bildete Lydia später, zusammen mit ihrem Ehemann Fritz Schmid, ein schlagkräftiges Geschäftsduo. Kennengelernt haben sich die beiden 1939 am General-Guisan-Ball im Berner Kursaal. Bereits ein Jahr später läuteten die Hochzeitsglocken.

Marzipanfigürchen als Volltreffer
Das Ehepaar Schmid-Cortelier führte ein Leben mit einigen geschäftlichen Hochs und Tiefs. Nach der Heirat führten sie zusammen eine Bäckerei in der Länggasse, bis ihnen in den Fünfziger Jahren die neue Migros-Filiale vis-à-vis das Geschäft erschwerte. Sie sattelten um und übernahmen ein Tea-Room in der Nähe des Tiefenauspitals, arbeiteten hart für den Erfolg, kamen jedoch nicht auf einen grünen Zweig. Folglich suchte Fritz zusätzliche Einnahmequellen und experimentierte zu Hause in einem der Kinderzimmer mit selbstgemachten Marzipanfiguren. Die neuen noch unbekannten Süssigkeiten fanden im Team-Room sofort reissenden Absatz. Das Marzipan-Geschäft florierte, die junge Lydia reiste mit Musterkoffern durchs Land und verkaufte die begehrten Figürchen. Eher durch Zufall zog die Familie 1956 mit ihren drei Töchtern nach Oberbottigen aufs Land. Hier konnten sie preiswert ein Haus erwerben, welches der tatkräftige Fritz schon bald um eine kleine Marzipanfabrik erweiterte. Für einige Jahre waren sie praktisch die einzigen Anbieter von Marzipan-Spezialitäten, verkauften ihre Figuren international.

Mit Glück nie viel Geld verloren
Heute wohnt die humorvolle Jubilarin immer noch in ihrem Haus in Oberbottigen. Unterstützt wird sie von einer Pflegehilfe und ihren drei Töchtern. Dorli Laplante, die mittlere Tochter, lebt seit 50 Jahren in den USA, kehrt aber jeden Sommer für vier Monate in die Schweiz zu ihrer Mutter zurück. Gerne verbringen die beiden dann jeweils einige Wochen zusammen in ihrem Häuschen am Neuenburgersee. Lydia SchmidCordelier, die fröhliche Jubilarin, schaut zufrieden auf ihr bewegtes Leben zurück. Ihre drei Kinder erinnern sich augenzwinkernd an die grosse Leidenschaft ihrer Mutter. «Schon als junge Frau und bis ins hohe Alter spielte sie leidenschaftlich gerne in Casinos. Wir sind heute froh, war unser Mami zeitlebens ein Glückspilz. Sonst hätte es mit ihrer Leidenschaft wohl ein böses Ende genommen.» Ihren grössten Wunsch hat sich Lydia Schmid-Cordelier bereits mit 94 Jahren erfüllt: Zusammen mit ihrer ältesten Tochter reiste sie noch einmal nach Las Vegas. Trotz ihres stolzen Alters spielt die Jubilarin immer noch liebend gerne und ausdauernd auf ihrem iPad Lotto. Auch an Weihnachten und Ostern, wenn sich die Familie in Oberbottigen trifft, kommen nach dem Essen die Lottokarten auf den Tisch. Das TV-Gerät schaltet die aktive Jubilarin selten ein. Aber wenn Roger Federer Tennis spielt, verpasst sie keine Minute vor dem Bildschirm.

Jürg Morf

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