Mitleid empfindet er keines. Denn der Mann tut nur seine Pflicht: Andreas Toth sorgt dafür, dass Menschen ihre Wohnung verlassen, wenn sie der Vermieter dazu zwingt.
Sicher, im Nachhinein hätte man sich diese Frage sparen können. Ob ihm sein Job als Chef Exmissionen der Stadt Bern Spass macht, wollte der beflissene Journalist wissen. «Hätten Sie Freude daran, einem älteren Mann zu sagen, er soll nun umgehend seine Sachen packen und die Wohnung verlassen? Ich erledige den Job, weil er mir vom Arbeitgeber aufgetragen wurde.» Zum Glück ist Andreas Toth ein freundlicher Zeitgenosse – dieser Satz, er war mündlich halb so böse gemeint, wie er hier nun in gedruckter Form erscheinen mag. Toth wollte nur verdeutlichen: Ja, natürlich gibt es Schöneres als solche Dinge. Der 57-Jährige tut das, was immer mal wieder getan werden muss, aber niemand gerne tun will: Er holt Menschen, die ihre Wohnung verlassen müssen, zu ebendieser heraus. Die meisten von ihnen können aus finanziellen Gründen ihr Obdach nicht mehr finanzieren. Oder sie haben die Hausordnung so empfindlich gestört, dass sie für die Liegenschaft nicht mehr tragbar sind. «Aller Gattung Leute» seien von solchen Exmissionen betroffen, erklärt Toth dem Bärnerbär in seinem Büro an der Predigergasse beim Polizeiinspektorat. «Jüngere, die zuhause vielleicht nicht gelernt haben, ein Budget aufzustellen. Drogenabhängige. Oder Menschen wie Sie und ich, die einfach ihre Stelle verloren haben und gerade nicht mehr wissen, wo hinten und vorne ist.» Und eben die Älteren.
Die Schweiz, das Paradies
Durchschnittlich ein Jahr vergeht vom Zeitpunkt der Kündigung bis zur Zwangsräumung durch das Polizeiinspektorat. Mitleid mit den betroffenen Menschen hat Toth trotz seines kernigen Eingangsvotums nicht. «Wenn man sieht, welche Möglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen, wird schnell klar: Ganz verloren ist niemand. In der Schweiz wird immer geholfen, wir leben hier im Paradies. Da sieht es im Ausland häufig ganz anders aus.» Eine Exmission läuft folgendermassen ab: Der Eigentümer kündigt das Mietverhältnis, anschliessend entscheidet ein Richter, ob die Person aus der Wohnung gewiesen werden muss oder nicht. Trifft das zu, erhält Toth einen sogenannten Vollstreckungsauftrag. «Dann nehme ich mit den Leuten Kontakt auf. Wenn das nicht gelingt, lasse ich einen Zettel hinterlegen mit der Bitte, sich mit mir telefonisch in Verbindung zu setzen.» Das weitere Vorgehen sollte folglich allen klar sein, jeder hat prinzipiell die Möglichkeit, sich schon früh nach einer neuen Unterkunft umzusehen oder sich beraten zu lassen. «Wer sich jedoch querstellt, hat vor Ort noch fünfzehn bis maximal dreissig Minuten Zeit, die Wohnung zu verlassen», erklärt Toth sachlich. Andernfalls werde man im Zweifelsfall «mit einem bestimmten Ton rausbegleitet».
Der tragische Fall 2011
Bei einer Exmission im Einsatz stehen jeweils drei Gewerbe- sowie zwei Kantonspolizisten. Ein mulmiges Gefühl beschleicht Toth dabei kaum. Respekt würde seine Gefühlslage wohl eher beschreiben. «Wenn ich Angst hätte, müsste ich zu meinem Chef gehen und ihn fragen, ob er mir einen anderen Job anbieten kann. Angst bringt Unsicherheit mit sich, das merkt das Gegenüber und ist nicht gut.» Zu heiklen Szenen kommt es zwar nur ganz selten, eine kugelsichere Weste gehört aber zur Standardausrüstung. Doch wer glaubt, Toth verrichte einen Auftrag à la «Tatort», liegt falsch. Schlichtheit statt Schiessereien. Dennoch: Passieren kann immer etwas. So wie damals, im Mai 2011, als im Emmentaler Dorf Schafhausen bei einer Zwangsräumung ein Beamter erschossen wurde. «Normaler Einsatz der Polizei endet in einem Blutbad», schrieb die «Berner Zeitung». Es war der erste Vorfall dieser Art seit fünfzig Jahren.
Rausschmeisser auf Zeit
Insgesamt nimmt die Zahl der Exmissionen leicht zu. Lange wird sich Andreas Toth allerdings nicht mehr mit solchen Fragen beschäftigen. Noch bis Ende Jahr muss er den unbarmherzigen Rausschmeisser spielen – ab 2019 kümmert sich der Regierungsstatthalter um diese Angelegenheiten. «Keine Angst, die Arbeit geht mir nicht aus», lacht der Familienvater. Schon jetzt kümmert er sich hauptsächlich um Dinge wie Plakatwesen und Bewilligungen für Märitstände sowie Marktkontrollen. Vielleicht kann Toth seine Hobbys dann sogar noch etwas mehr geniessen. «Fischen, Töfffahren und Pfeilbogenschiessen.» Gibt ja auch ein wenig zu tun.
Yves Schott