R14 0593

Weniger Kleiderchaos, mehr Freude an Mode

Mit Stil, Feingefühl und Farbverstand: Second Hand Expertin Eva Moesch verkauft nicht nur Mode, sondern optimiert auch die Garderobe ihrer Kunden. Mit System sorgt sie für mehr Nachhaltigkeit im Kleiderschrank.

Sie hat wohl einen der ungewöhnlichsten Berufe in Bern: Eva Moesch ist Garderobenoptimiererin. Dabei zeigt sie einen Weg aus dem Klamottenchaos, verkauft Second Hand Mode weiter und hilft allen, die künftig nachhaltiger Kleidung anschaffen möchten. Für Moesch ein Traumjob: «Ein aufgeräumter Kleiderschrank ist für mich einfach schön. Eine Lebensfreude.» Ein Faible für hochwertige Kleidung aus zweiter Hand, hatte sie schon immer. «Es fasziniert mich, was man aus der bestehenden Garderobe herausholen kann und unentdeckte Schätze schnell von meinem geübten Auge erkannt werden.» So war ihre erste Ladeneröffnung vor 25 Jahren im Mattequartier auch eine Folge ihres guten Auges: «Schon bei meinen Freundinnen räumte ich gern Schränke. Dann kam ich auf die Idee, die Fundstücke zu verkaufen.»

Bestehendes optimieren
Vor 13 Jahren gründete sie dann ihren Laden Courage First in Second Hand in Bern. Auch dort ist alles top sortiert. «Ich hatte harmonische Farben und ordentliche Stapel schon immer gern», gibt Moesch lächelnd zu. So machte die Farb- und Stilberaterin vor acht Jahren die Garderobenoptimierungen zu ihrem Business. Etwa eine handvoll Kundinnen berät sie pro Jahr. Ein Termin dauert etwa einen Nachmittag und kostet ca. 100 Franken pro Stunde, inklusive Entsorgung und Nachberatung. In der Coronakrise hatten viele Zeit ihr Konsumverhalten und ihre Garderobe zu reflektieren. Wollen jetzt alle mit Eva Moesch den Schrank ausmisten? «Viele melden sich nun und wollen einen späteren Termin vereinbaren. Erste Stücke bringen sie zum Laden.» In diesen Monaten steht die Gesundheit an erster Stelle, Beratungen finden deshalb vermehrt im Courage statt. «Die Lust einzukaufen ist wieder da, aber ins Kaufhaus möchte noch nicht jeder», berichtet Moesch. Neu gestylt oder ergänzt kann die eine oder andere Schrankleiche wieder zum Fashionhit werden. «Statt alles neu zu kaufen, geht es vielmehr darum, aus dem Vorhandenen das Optimum herauszuholen», erläutert Moesch ihren Grundgedanken.

Weg, behalten, vielleicht
Mit Bedacht bezeichnet sie sich nicht als Aufräumerin sondern Optimiererin, denn den Kleiderschrank aufräumen müssen die Kunden selbst. Bei einer Garderobenoptimierung wird sortiert, ausgewählt und neu eingeräumt. Moesch bildet stets drei Stapel: «weg», «behalten» und «vielleicht». Was nicht passt, ein schlechtes Gefühl gibt oder einfach ein Fehlkauf war, sollte weg. Doch die Trennung vom geliebten Sommerkleid, dem teuren aber eigentlich unförmigen Pulli oder dem unmodernen Rock vom ersten Date fällt oft schwer. Ähnliche Stücke hält Eva Moesch nebeneinander und bittet um eine Entscheidung. «Welches tragen Sie lieber? Das andere kommt weg.» Für manchen Kunden eine kleine Überwindung. Kleidung sei auch Erinnerung, Moesch hört oft emotionale Geschichten. «Da bin ich manchmal ein bisschen Psychiaterin. Meist genügt aber einfach ein offenes Ohr», sagt sie. Besonders rühren sie Garderoben von Verstorbenen. «Wenn ein Witwer sich entschliesst, die Kleidung seiner Frau abzugeben, ist das immer emotional.» Sie rät dann dazu, eine Kleiderstange für besondere Erinnerungsstücke zu schaffen. Eine radikale Trennung von Lieblingskleidern ist eben nicht immer der hilfreiche Weg. Gefragt nach einem Härtefall, muss Moesch aber wieder schmunzeln. «Ich erinnere mich an sechs übervolle Kleiderschränke, alles Designersachen. Das hatte ich noch nie im Leben gesehen. Das pure Chaos.» Behutsam half sie der Kundin, wieder Ordnung und Übersicht zu schaffen. Aber solche Ausmasse seien die Ausnahme.

Klare Strukturen schaffen
Moesch empfiehlt eine Aufhängung nach Farben, Saison, Schnitt und Anlass sortiert. Das schafft nicht nur Platz, sondern auch Überblick und spart Zeit am Morgen. Zum Schluss der Optimierung wird neu kombiniert. Als Erinnerungshilfe für die so entstandenen Outfits dienen Polaroids oder Selfies. Fehlt ein wichtiges Basisteil wie Trenchcoat oder Bluejeans, macht die Fachfrau auch Neuanschaffungsvorschläge. Ausrangierte Markenkleidung nimmt sie als Kommissionsware mit ins Courage: «So kommen die Stücke wieder in den Kreislauf», sagt Moesch, die einen zunehmenden Nachhaltigkeitswunsch ihrer Kunden bemerkt und fördert. Den eigenen Schrank zu optimieren, ist dabei nur ein Teil in der Kette. Genauso wichtig ist es, den persönlichen Stil und nachhaltig produzierte Stücke zu finden. «Ein Beispiel sind Strumpfhosen», sagt Moesch. «Lieber kaufe ich drei hochwertige in verschiedenen Farben, deren Passform ideal ist, als Dutzende, die sofort eine Laufmasche bekommen.» Klasse statt Masse. Denn viele hätten erkannt, dass der derzeitige Modekonsum mit vier Kollektionen pro Jahr und Onlineshopping nicht mehr gesund sein kann. So suchen Moeschs Kunden im Courage besondere langlebige Einzelstücke. Denn wer geschickt kombiniert, kann auch mit wenigen Teilen eine Vielzahl von Looks zaubern.
Michèle Graf

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge