Als bisher einzige Coiffeuse in Bern sorgt Carole Fasnacht mit den abgeschnittenen Haaren ihrer Kundinnen und Kunden dafür, dass die Ozeane ein wenig sauberer werden.Wir betreten den schlichten, aber geschmackvoll eingerichteten Coiffeursalon Hin & Hair von Carole Fasnacht im Breitenrain. Im Mai dieses Jahres hat die 32-Jährige den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Sie führt uns stolz durch ihr «Bijou», wie sie ihren hellen Arbeitsplatz liebevoll nennt. Mit dem Gedanken, «etwas Eigenes» zu haben, spielte sie schon längere Zeit, aber «ohne konkret zu werden». Schliesslich wurde sie auf das Lokal an der Militärstrasse 60 aufmerksam – und musste sich innerhalb eines Monats entscheiden. «Dann wurde es konkret», erinnert sie sich. Gewiss, hie und da beschlichen sie Zweifel, wenn es Tage gab, an denen es nicht so gut lief. «Aber am Ende des Monats konnte ich immer allen Verpfichtungen nachkommen.» Insgesamt sei die Zwischenbilanz nach den ersten vier Monaten ihrer Geschäftstätigkeit positiver als erwartet.
Den Kunden Haare «stehlen»
Carole Fasnacht ist begeisterte Taucherin. Neben der Unterwasserwelt entging ihr aber bei den Tauchgängen die Verschmutzung des Wassers durch Öl, Benzin und Sonnencrèmeresten nicht. Durch die Sendung «Galileo» wurde die Jungunternehmerin auf das Projekt «Coiffeurs Justes» aufmerksam. «Das Interview mit Gründer Thierry Gras imponierte mir. Für mich war sofort klar: Da mache ich mit!», erzählt die umweltbewusste Coiffeuse. Sie schritt zur Tat und bestellte in der Zentrale in Frankreich sechs spezielle (nachhaltige) «Sacs à Cheveux» für einen Euro pro Sack – mit 25 Euro Jahresbeitrag ist sie nun Mitglied des Vereins «Coiffeurs Justes». Seit der Eröffnung ihres Salons hat sie einen mit drei Kilo Haaren gefüllten Sack nach Frankreich gesandt. Das entspricht zirka 400 Haarschnitten. Jedem Kunden, jeder Kundin «stiehlt» Carole Fasnacht durchschnittlich drei bis vier Zentimeter der Haarpracht, welche dann in den Sack wandert. Der Tropfen auf den heissen Stein? Carole widerspricht: «Als Kleinstbetrieb bin ich natürlich keine Grossspenderin, aber jedes Haar zählt!» Sagts und füllt den zweiten Sack, der wohl gegen Ende November den Weg nach Frankreich antreten wird. Dort werden die Haare gereinigt und in Strümpfe gestopft. Diese Haarflter werden danach in den Meeren, in Seen, Flüssen und Schwimmbädern eingesetzt. Haare haben die besondere Eigenschaft, viel Fett aufsaugen zu können. Ein Kilo Haar kann acht Kilo Öl oder Fett aufnehmen. «Allein bis zu 14 000 Tonnen Sonnencrème gelangen jährlich in die Meere, Seen, Flüsse und Schwimmbäder – nur weil wir zu wenig darauf achten, welche Produkte wir v e r w e n d e n ! » , ereifert sich Carole Fasnacht. Sie stützt sich dabei auf unterschiedliche Studien von Wissenschaftlern, die belegen, dass die UV-Partikel des Sonnenschutzes wie ein Film auf dem Wasser liegen und so das Wachstum von Plankton verhindern.
Zwei Zentimeter gespendet
Noch ist Carole Fasnacht in der Stadt Bern die einzige Coiffeuse, die sich am Projekt beteiligt. Sie wünscht sich aber mehr Nachahmerinnen und Nachahmer. «Auf Instagram bin ich damit präsent. Einmal erhielt ich einen Anruf eines Berner Berufskollegen, der sich danach erkundigte. Ob er nun mitmacht oder nicht, weiss ich allerdings nicht. Die Handhabung ist einfach und bringt so viel», resümiert Carole Fasnacht. Hat sie auch schon mit dem Gedanken gespielt, sich selber eine Kurzhaar-Frisur zu verpassen, damit der «Sac à Cheveux» schneller gefüllt wird? Sie lacht: «Nein, das nicht gerade. Aber von mir befnden sich mindestens zwei Zentimeter im Sack.» Neben konventionellen Haarpfegeartikeln verwendet und verkauft Carole Fasnacht auch vegane Produkte, welche recycelbar sind. Pro verkauftes Produkt geht ein Betrag an die Plastic Bank. Mit den Sammelprojekten von Plastic Bank wird der Plastikmüll in den Meeren reduziert und die lokale Bevölkerung mit Geldund Sachleistungen unterstützt (plasticbank.com). Da sie auch herkömmliche Produkte im Sortiment führt, möchte Carole Fasnacht nicht als «Öko-Coiffeuse» bezeichnet werden. Bei jeder neuen Kundin tastet sich die erfahrene Fachfrau vorsichtig an deren Bedürfnisse heran, um herauszufnden, ob sie für vegane Produkte empfänglich ist. Obwohl Carole vegane Pfegeprodukte verwendet, isst sie weder vegan noch vegetarisch. «Hie und da ein gutes Stück Fleisch verachte ich nicht, aber nicht täglich…», schmunzelt sie.
Peter Widmer