Wenn plötzlich die eigene Welt auf dem Kopf steht

Passionierten Reitern und Ponyfreunden ist der Pensionsstall Jost auf dem Blinzernplateau bestens bekannt. Vor anderthalb Jahren wurde die Familie Jost mit einem harten Schicksalsschlag konfrontiert: Corinne Jost stand mit ihren Töchtern unvermittelt alleine da: Ihr Gatte Ruedi erlitt einen tödlichen Herzinfarkt. Ans Aufgeben dachte die Witwe aber nie. 

Vereinzelte Schneeflocken tänzeln in der kühlen Mittagsluft, als wir beim 30 Hektaren umfassenden Gehöft der Familie Jost eintreffen. Als Erstes werden wir von Prachtskater Alvinn und Hunderüde Jaro empfangen. Kurz darauf begrüsst uns Corinne Jost mit einem kräftigen Händedruck und sagt: «Ich bin Corinne, wir sagen uns alle Du.» Die Leiterin des Pferde-Pensionsstalls Jost mag anfangs etwas ruppig erscheinen, aber dieser Eindruck täuscht. Corinne Jost schaut ihrem Gegenüber direkt in die Augen und wenn der Blick ebenso klar erwidert wird, offenbart sich das Wesen einer Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck hat.

Zum Wohl der Tiere
Auf dem grosszügigen Gelände treffen die ersten Kinder ein. Josts bieten auch Pony-Erlebnisse von A bis Z an, inklusive artgerechtem Umgang in der freien Natur. Es sind Mädchen im Alter von sechs bis 14 Jahren und sie wissen genau, was zu tun ist. Routiniert striegeln die Kids das Fell der Vierbeiner oder entfernen Dreck aus den Hufen. Corinne Jost stellt uns derweil Otto vor, einen Esel mit stolzen Ohren. «Wenn ich mit der Bürste zu nahe an seine Lauscher komme, wird Otto zickig», lacht Jost.  Das Grautier scheint ein wenig zu blinzeln. Auf dem Hof leben elf Ponys, sie haben verspielte Namen wie Nougat oder Puzzle. Ausserdem gibt es sechs Katzen, zwei Hunde und zwei Geissen. Und natürlich all die Pferde, die von ihren Besitzern in Obhut gegeben und tagsüber geritten werden. Es sind über ein Dutzend Rösser, zwei davon eigene. «Das Wohl der Tiere steht bei uns an oberster Stelle», umschreibt Corinne Jost die Philosophie im Pensionsstall. Wanderer, die vom Gurten oder vom nahe gelegenen Ulmizer- oder Köni-

«Ich vermisse meinen Mann, wir hatten noch viel vor»

zerwald am Anwesen vorbeilaufen, können sich davon überzeugen. «Unsere Pferde haben einen Longier- und einen Rasenreitplatz», so Jost, «die Tiere erhalten ein spezielles Kraftfutter.»

Zäsur durch Sekundentod
Bis vor kurzem lebte die Tierliebhaberin ein glückliches Familiendasein in der ehemaligen Milchwirtschaft, die sich nun in dritter Generation auf die Hege und Pflege von Pferden spezialisiert hat. Ihr damaliger Gatte Ruedi Jost starb mit nur 45 Jahren. Heute kann die Mutter dreier Mädchen sagen: «Die Hilfsbereitschaft von Freunden und Bekannten ist enorm, dafür sind wir alle sehr dankbar.» Corinne Jost erinnert sich an die Zeit nach dem ersten Schock: «Die Tiere brauchten Futter, meine Töchter Unterstützung. Die Verantwortung war gross und ich musste einfach funktionieren.» Man sieht ihr an, dass der Verlust nach wie vor schwer wiegt. «Ich vermisse meinen Mann, wir hatten noch viel vor.» Die Töchter Anja (23), Kristina (21) und Pascale (18) sind alle in einem Alter, in dem sie selbstständig sind. «Ich und mein Mann hatten es perfekt zusammen und wollten mehr Zeit mit Reisen verbringen», erzählt Corinne Jost und nimmt einen Schluck Kaffee. Sie wirkt nicht verbittert, sondern viel mehr gefasst. «Nun bin ich einfach froh, dass wir alle auf dem Gut bleiben dürfen. Der Heimetund somit Pachtwechsel seitens der Bernburger ging unbürokratisch über die Bühne.» Ihre Schwiegermutter sowie ein Geschwister des Ehemanns leben im angegliederten Stöckli.

Bewusst im heute leben 
Corinne Jost ist gebürtige Bernerin. «Ich bin ein Stadtmeitschi und im Monbijou aufgewachsen.» Nach der obligatorischen Schulzeit wollte sie eine Lehre als Tierpflegerin machen. «Das war damals in der Schweiz nicht möglich», blickt die 52-Jährige zurück, «also lernte ich Pferdepflegerin.» Das Handling mit Rössern habe ihr schon immer gelegen. «Pferde sind sehr feinfühlige Tiere. Wenn man anständig ist mit ihnen, kommt stets etwas zurück.» Seit 1993 lebt sie auf dem Gut und gesteht: «Der Einsatz ist gross und die Woche hat meist sieben Tage. Zweimal im Monat gönne ich mir auszuschlafen.» So etwas wie Freizeit gibt es auch, dann ist die Pferdenärrin am Reiten oder Laufen. Mit einer Freundin hat sie das Geocoaching entdeckt, eine moderne Schatzsuche mit Satellitenunterstützung. Zurzeit packt ihre älteste Tochter Anja auf dem Gut mit an. Corinne Jost macht sich wenig Gedanken über die ferne Zukunft, dann, wenn die Töchter eines Tages andere Herausforderungen suchen. «Ich bin jemand, der nicht hadert, sondern immer weitergeht», sagt sie nicht ohne Stolz. «Heute geht es gut und was morgen kommt werden wir dann sehen.»

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge