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Wie dieses Curvy Model Ihr Körpergefühl verändern kann

In den sonst stets so perfekt inszenierten sozialen Medien fällt die Bernerin Sonja Rüegsegger mit Tiefgang auf. Das Curvy Model, das freiwillig 45 000 Follower löschte, will zur Selbstliebe inspirieren.

Sie ist durchschnittlich gross, tätowiert, kurvig, trägt einen Kurzhaarschnitt mit blauen Strähnen. Auf den ersten Blick entspricht Sonja Rüegsegger keinem der gängigen Model-Klischees. Dennoch ist sie seit sechs Jahren als Isabelle Bella Curvy Model erfolgreich. Auf ihren Job angesprochen, lacht sie: «Ja, ich nenne mich Model, da ich vor der Kamera arbeite, aber eigentlich geht es mir vielmehr darum, zu zeigen, dass ich mich in meinem Körper wohlfühle.» Denn die eigene Haut und Person lieben zu lernen, war für sie der Schlüssel zum Lebensglück. Zuvor ging Rüegsegger durch eine tiefe Krise. «Ich setzte jahrelang ein Lächeln auf, obwohl es mir richtig schlecht ging. Ich hatte bis zum Limit gearbeitet, bekam Panikattacken. Da wusste ich, dass ich in meinem Leben etwas ändern muss.» Die junge Bernerin zog die Notbremse und liess sich von einem Coach beraten, begann eine charakterliche Reise. In der Krise erkannte sie: «Ich hatte mich eigentlich immer wohl in meinem Körper gefühlt, auch wenn er nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Doch es gibt sicher viele Menschen, die denken, sie seien falsch, weil sie den Bedingungen, die wir vorgelebt bekommen, nicht gerecht werden können.» Für sie ein Fehler im Gesellschaftssystem. In Rüegsegger wuchs der Drang, mit Fotos eine Botschaft in die Welt zu tragen: «Sexyness, Ausstrahlung und Schönheit haben nichts mit der Körperform zu tun, sondern mit deiner inneren Zufriedenheit.» So gestaltet sie als Isabelle Bella Curvy Model eine Website, die von Anfang an super ankam.

Das Faible für erotische Fotos
Auch heute hat Rüegsegger noch ihre Hochs und Tiefs, schreibt darüber offen in ihrem Blog – und spricht damit offenbar vielen aus der Seele. In persönlichen Nachrichten vertrauen die Leser ihr häufig ihre Probleme, Sehnsüchte und Wünsche an. «Während der Coronakrise berührte mich, dass viele aus meinen Posts offenbar Energie und Durchhaltevermögen mitnehmen konnten.» Manche berichten ihr gar von lebensverändernden Entscheidungen, zu der sie die Posts der Curvy Models inspiriert haben. Auf diesen Pfad zur Selbstliebe hilft Rüegsegger auch ihren Kunden, organisiert professionelle Fotoshootings und Beratungen. «Ich bin einfach ich. Und ich helfe Menschen, ihre eigene innere Kraft zu finden.» Inzwischen kann sie von den Engagements ihren Lebensunterhalt bestreiten, hat ihren alten Beruf als Hebamme aufgegeben. Seit 2012 vertreibt sie Sextoys für Frauen. Erotik und Frausein spielen auch in ihren Coachings eine grosse Rolle. «Sexualität fasziniert mich, sie gibt viel Lebensenergie und -freude», sagt Rüegsegger zu ihrem Faible für erotische Fotos. Bei ihren Shootings geht es ihr nicht um perfektes Styling oder schmeichelhafte Posen. «Denn ich will nicht etwas darstellen, das ich nicht bin.» Vielmehr arbeitet das Curvy Model mit Gefühlen: Sollen die Bilder sinnlich oder verträumt sein, versetzt sie sich in diese Stimmung. Sie nimmt ihren Mut zusammen, um sich intim und verletzlich zu zeigen. «Nur dann sind die Bilder authentisch.» Sogar Fotos mit verweinten Augen veröffentlicht sie. Zu dieser Authentizität gehört auch, dass sie kleine Makel nicht retuschieren lässt. Für einen Tag mit einem schlanken Model tauschen? Rüegsegger schüttelt den Kopf: «Nein, mein Körper, mein Leben. Ich bin zufrieden so.»

«Es wirkt aufgesetzt»
Kundinnen und Kunden versucht sie, durch Gespräche und ihre ruhige Ausstrahlung ebenfalls in diese Gefühlswelten hinein zu verhelfen, so dass sie ihr Innerstes nach aussen kehren können. Unfotogen, zu klein, zu dick, zu wenig Ausstrahlung – das ist es bei ihr nicht. Durch die sozialen Medien hätten wir es nur verlernt, uns natürlich vor der Kamera zu zeigen: «Dort geht es um eine Selbstinszenierung, aber wir wollen unseren Masken nicht fallen lassen. Es wirkt aufgesetzt.» Durch Instagram und Co. gehe der Blick fürs Reale verloren, alle streben nach Likes, die ihr Ego pushen. Das Curvy Model bewegt sich in dieser Welt unangepasst: «Ich hatte mal 50 000 Follower auf Instagram, trennte mich aber von fast 45 000 wieder. Die Followeranzahl sagt gar nichts darüber aus, wie mich Leute wahrnehmen oder wie erfolgreich ich bin.» Die innere Zufriedenheit soll nicht von der Bestätigung von aussen abhängen. So hat es sich das Model zur Mission gemacht, daran zu erinnern, dass es auch hinter perfekten Fassaden bröckeln kann und Selbstliebe heilend ist. «Es geht nicht darum, dass ich immer zufrieden mit mir bin, sondern, dass ich mich mit all meinen Seiten annehmen kann.»

Michèle Graf

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