Susanne Berger ist seit September 2021 eine der fünf Pfarrerinnen und Pfarrer der Reformierten Kirchgemeinde Bümpliz. In unserem Gespräch zum Jahresbeginn äussert sie sich zu Glaube, Zweifel, Hoffnung und Pandemie.
Wir sitzen uns im gemütlichen Quartiertreff an der Mädergutstrasse 62 in Bümpliz gegenüber. Susanne Berger wird von der Sonne geblendet, sieht dadurch das Gesicht des Schreibenden kaum. «Nun haben Sie einen Heiligenschein», scherzt sie. Wir sind schon mitten im Thema! Wie hat sie Weihnachten gefeiert? «Feierlich, fröhlich, zeitlich gestaffelt mit Familienangehörigen», so ihre «ganz normale» Antwort. Am 25. Dezember besuchte sie in der Kirche von Bümpliz den Weihnachtsgottesdienst, denn über die Weihnachtstage war sie nicht im Dienst. In der Kirchgemeinde Bümpliz ist sie für Gottesdienste, Taufen, Trauungen und Beerdigungen zuständig und befasst sich zudem mit interreligiöser und ökumenischer Zusammenarbeit.
Familie las im Koran
Susanne Berger wuchs in einem multireligiösen Haus auf, und zwar im Baha’i-Haus in Bern, wo ihr Vater Hauswart war. Iranerinnen und Iraner gingen ein und aus, Susanne lernte verschiedene, bei uns unbekannte Formen des Gebets kennen, was das junge Mädchen tief beeindruckte. «Mich interessierte stets das Verbindende, aber auch das Trennende. Worin unterscheiden sich die verschiedenen Glaubensrichtungen?», erinnert sich Susanne Berger heute. Die Familie las in der Bibel, aber auch im Koran und in den Schriften der Baha’i. «Die reformierte Kirche spricht ja vom ‹Priestertum aller Gläubigen›. Wir praktizierten das bei uns, die Gemeindemitglieder wählten Gebete und Musik aus.» So lag es eigentlich nahe, ein Theologiestudium in Angriff zu nehmen – weit gefehlt! Susanne Berger besuchte den Gymer und schloss die Wirtschaftsmatur ab, bildete sich weiter in Werbung und Public Relations, arbeitete in Werbeund PR-Agenturen, gründete eine eigene Kommunikationsagentur, beriet Kunden, wie sie vorteilhaft mit ihren verschiedenen Zielgruppen zu kommunizieren hatten, war PR-Dozentin und Prüfungsexpertin. Dann, mit 46 Jahren, der Wendepunkt. Sie verblüffte ihr Umfeld mit dem Entscheid, ein Theologiestudium zu absolvieren. «Ich war beruflich in einer Sackgasse angelangt, war an einer Arbeitsstelle, die nicht zu mir passte», blickt sie auf das entscheidende Jahr 2004 zurück. Sie kniete sich ins Studium, lernte Latein, Hebräisch und Griechisch, schloss sechs Jahre später ab und war nach einem weiteren Jahr als Vikarin reformierte Pfarrerin. Bereut hat sie die späte Berufswahl nie, die Kommunikationskenntnisse und -praxis kommen ihr heute zugute. Susanne Berger ist dort angelangt, wo sie wollte – besser spät als nie!
Zweifel sind angebracht
Susanne Berger glaubt an Gott, ohne Wenn und Aber. So klar kommt ihre Antwort auf die entsprechende Frage. Aber es gebe verschiedene Wege, zu Gott zu finden, sagt sie. Sie behauptet nicht, ihr Weg sei der richtige. «Es gibt auch verschiedene Arten, einen Berg zu erklimmen.» Als Pfarrerin vertrete sie den Weg des Christentums, aber immer im Bewusstsein, dass sie nicht die einzig gültige Wahrheit habe. Darauf legt Susanne Berger grossen Wert. «Zweifel am Glauben sind angebracht und unabdingbar», räumt die Seelsorgerin ein. Ob die Geschichten von Menschen mit Gott immer wahr und historisch nachvollziehbar seien, sei für sie nicht relevant. «Die Fragen, die sich die Menschen damals stellten, sind heute immer noch dieselben.» Lässt die nicht nachlassende Pandemie-Krisenzeit die Menschen an Gott zweifeln? Dazu Susanne Berger: «Die berühmte Frage, wie Gott so etwas zulassen kann, führt meines Erachtens zu einem kindlichen Gottesbild: Gott ist jemand, der bestraft oder belohnt, je nach Verhalten der Menschheit. Klar, nun hat der Mensch übertrieben und erhält jetzt die grosse Strafe! Man gelangt rasch zur Straf- und Sündentheologie. Diese These kann ich nicht vertreten.» Sie findet eine (von mehreren) Erklärungen in der Bibel bei Prediger Kohelet, Kapitel 3: «Alles hat seine Zeit.» So gebe es eine Zeit zum Feiern, aber auch eine Zeit zur Zurückhaltung. «Diese Bibelstelle macht uns bewusst, dass nicht ewig alles nach Wunsch gehen kann», ist Susanne Berger überzeugt. Sie versteht aber Menschen, die genug haben von den Einschränkungen und Unsicherheiten. Es gehe auch ihr nicht anders. Dann sucht sie Kraft und Abwechslung in der Natur, auf dem Pferd, bei ausgedehnten Spaziergängen mit dem Hund. «Aus der Schockstarre der Maus vor der Schlange müssen wir uns ab und zu befreien können.» Aber wir dürften klagen, auch dies sei eine Form der Befreiung. Was sie sich für 2022 wünscht? «Nicht aufhören zu hoffen, weiterhin zuversichtlich sein, nicht verzagen, aus dem Vorhandenen das Beste machen, sich verinnerlichen, dass es gut ist, so wie es ist – wenn auch mit Einschränkungen.» Sie verabschiedet uns mit einem herzhaften «Bhüet ech Gott!»
Peter Widmer