Angedacht war ein Gespräch über sein neues Album, über Heimat vielleicht auch. Doch Interviews mit Gölä (50) lassen sich nur schlecht vorausplanen.
Gölä, beim letzten «Urchig»-Album standest du allein im Mittelpunkt. Jetzt, beim zweiten Teil, sind noch viele andere Künstler vertreten: Jesse Ritch, Andrea Berg …
Klar, ich wollte eine Platte, die ich mir selbst auch anhören kann (lacht). Wer hört sich schon gerne selber zu.
Das Bedürfnis der Leute nach heimatlichen Klängen in Kombination mit bekannten Songs scheint schon länger ziemlich gross zu sein.
Na gut, Abba sind ebenfalls schon seit Jahren in der Hitparade und die haben mit heimatlichen Klängen wenig zu tun. Und warum? Weil ihre Musik die Menschen berührt. Nicht wegen eines Trends.
Was gefällt denn dir an volkstümlichen Jodel-Gesängen?
Wenn Leute zusammen singen, entstehen Schwingungen, das ist quasi der Urklang des Menschen, wie eben beim Jodeln. Obwohl diese Musik häufig belächelt wird, weil sie ja aus der Schweiz kommt. Daran krankt Westeuropa, wir befinden uns auf einem Selbstvernichtungstrip. Alles, was weiss ist, ist schlecht. Wie man auf die Idee kommt, dass man sich schuldig fühlen muss, nur weil man weiss ist, kann ich mir aber nicht erklären.
Nehmen wir an, es stimmt, was du sagst: Wäre es eine Reaktion auf den Imperialismus in Afrika, wo Teile der Bevölkerung versklavt wurden?
Das stimmt doch nicht, die Schwarzen haben die Schwarzen ja selber geknechtet, lange bevor die ersten Weissen da waren. Man muss die ganze Geschichte kennen und nicht nur etwas nachplappern. Die ursprüngliche Sklaverei und die war noch viel härter haben nicht die Weissen erfunden; das weiss aber nur, wer etwas tiefer geht.
Fakt ist: Diverse afrikanische Länder litten unter dem Einfluss Europas.
Vorher haben die Bewohner des Kontinents es unter sich aber genau gleich gemacht. Indianer haben Indianer ausgenommen, Schwarze die Schwarzen. Schauen wir die Welt doch an, wie sie ist.
(Produzent TJ Gyger schaltet sich ein) Ich wollte noch etwas zum Jodeln sagen: Ich habe noch nie jemanden gesehen, der eine Gruppe von Menschen, die jodelt, nicht toll findet.
Gölä: Ausser, du hast einen seelischen Kolbenklemmer und willst es nicht zulassen. Manche verweigern sich gewissen Dingen, weil sie diese aus Prinzip nicht zulassen wollen. Das sind Psychosen, die sich ständig weiterentwickeln. Nimm Helene Fischer und «Atemlos»: Da reden sich doch viele ein, dass ihnen das nicht gefällt, obwohl innerlich etwas mitmacht. Und das nervt sie dann.
Der Musikexperte würde sagen: Klar, «Atemlos» ist ja auch eine einfache Melodie und … (unterbricht) Was ist ein Musikexperte? Ich sage es dir: Das sind die abverrecktesten Musiker, die es nie zu etwas gebracht haben.
TJ Gyger: Schubladisierung ist ein riesiges Thema. Wir sind alle damit aufgewachsen: Entweder bist du Rapper, Rocker oder was immer. Aber welches Land hat schon das Glück, über eine solche Vielfalt an Liedgut zu verfügen? Wer das leugnet, ist einfach nur dämlich.
Andere Nationen sind sehr stolz auf ihre eigenen Klänge.
Gölä: Eben. Wieso dürfen wir das nicht sein?
Darf man doch.
Nein! Heute darf man ja kaum mehr eine Schweizerfahne aufhängen, ohne dass es heisst, du seist Nationalist. Wie krank ist denn das? Genau jene Leute, die das predigen, finden es dann geil, wenn die Italiener mit ihren Flaggen feiern. Wenn es aber die Schweizer tun…genau deswegen besinnen sich die Leute zurück auf ihre Wurzeln und gehen wieder an die Schwingfeste. Unsere kleine Welt fägt doch. Klar, da draussen gibt es noch viel mehr, aber das wusste der Schweizer schon lange.
Ist doch gut, dass es da noch viel mehr gibt.
Natürlich. Aber man soll das Eigene nicht dauernd schlecht machen. Die Schweizer sind doch ein Hammer-Volk. Was wir schon gespendet und geholfen haben, um die Welt ein wenig zu verbessern. Das hat doch einen Grund. Ich bin jetzt 50 – wenn du früher deinen roten Pass hervorgenommen hast, dann warst du jemand, die Leute haben zu dir hochgeschaut. Und wieso? Weil wir ein gutes Volk waren. Wir haben niemanden angegriffen, wir haben niemanden beschissen … das finde ich super.
Mit Verlaub: Das ist eine sehr unkritische Haltung gegenüber der Schweiz. Wir haben Raubgold gebunkert, das Bankgeheimnis ist zumindest umstritten und einheimische Firmen tätigen teilweise sehr dubiose Geschäfte in Afrika.
Ich gebe dir recht. Man darf immer kritisch sein, deswegen muss man aber nicht alles schlecht reden. Und gerade weil sich die Schweiz früher so verhalten hat – sei das nun positiv oder negativ – geht es uns hier so gut. Deswegen können so viele Leute hier studieren, ohne nebenbei noch arbeiten zu müssen. Ohne unsere Vorgeschichte würden wir hier im Dreck rumwühlen.
Europa war früher ein Armenhaus.
Bravo, genau! Und wieso hat sich das geändert? Weil man Dinge zuliess, die heute verhindert werden. Man zog eine Infrastruktur für Touristen auf. Wir haben Bahnen für Engländer ui Achtung: Ausländer! (mit ironischem Blick) gebaut. Das Berner Oberland hat den Tourismus erfunden! Weil man damals noch innovativ sein, Bahnen und Tunnel bauen konnte ohne dass eine Armada von Alles-Verhindern Einsprache machen konnte. Man muss wissen: Die Schweiz war ein Auswanderungsland. Das regt mich manchmal auf, dass viele Jungen glauben zu wissen, wie die Welt aussehen soll, dabei aber vergessen, dass ihr voller Kühlschrank durch ihre Vorfahren zustande gekommen ist.
Mittlerweile sind andere Staaten zu Auswanderungsländern geworden, weil deren Bewohner hier auf ein besseres Leben hoffen.
Ja, mit dem Unterschied, dass der Schweizer, der damals auswanderte, hart untendurch musste. Heute kommen viele Menschen hierher und erhalten alles gratis, was meiner Meinung nach nicht richtig ist.
Was aber nicht die Schuld jener Leute ist.
Stimmt! Wäre ich von dort, würde ich es genau gleich machen (lacht). Ich gebe nie denen die Schuld, die zu uns kommen, es liegt an einer falschen Politik. Warum ertrinken sie im Mittelmeer? Weil sie in Deutschland sagen: «Ihr seid willkommen!» Die jungen Männer, die hierherkommen, werden in ihren Herkunftsländern selbst dringend benötigt. Die Menschen dieser Erde müssen lernen miteinander auzukommen und sich nicht wegen jeder Kleinigkeit in die Luft zu sprengen.
Ist das eine Frage der Intelligenz?
Ich sage immer: Der Intelligenztest ist das beste Beispiel für die Dummheit des Menschen. Da kommt eine Gruppe von Menschen daher, die alle studiert haben. Dann ziehen sie Wurzeln, rechnen etc. Wenn ich diesen Test ausfülle, komme ich wahrscheinlich auf einen Wert von etwa 60…
TJ Gyger: Du meinst wirklich, er ist so hoch? (schallendes Gelächter)
Gölä: Jetzt mache ich meinerseits einen Intelligenztest mit einem Büetzerkollegen. Wir sagen: Wenn einer eine Hütte stellen kann, erhält er zehn Punkte, wer betonieren kann, erhält er ebenfalls Punkte etc. Kommt er auf 160, ist er ein hochbegabter Mensch. Und die Studierten? Fallen alle durch. Sind das jetzt die Dümmsten der Welt? Stimmt doch nicht, sie sind einfach anders intelligent. Wir müssen darauf zurückkommen, dass jeder in seinem Fach gut und respektiert sein sollte. Worin würde unsere «geistige Elite» wohnen, wenn es keine Büetzer gäbe? In einer Höhle? Steck da mal deinen Compi ein – wird schwierig (lacht). Es braucht wieder mehr gegenseitigen Respekt!
Eigentlich wollten wir ja mal über «Urchig» reden. Was bedeutet das für dich?
Alles, was auf dieser Welt mit Tradition zusammenhängt. Sei es in Afrika, Asien, in der Südsee. Urchig ist das, was unsere Grosseltern noch konnten und wir Zivilisationsgeschädigten heute nicht mehr können. Unsere Grosseltern schafften es ohne Strom zu überleben. Jetzt können wir uns mal überlegen, wie viel intelligenter als unsere Vorfahren wir sind.
Yves Schott