Mit der Faszination für den Wollfilz fing alles an: Sarah Rainer-Pranter beherrscht das selten gewordene Handwerk der Hutmacherei. In ihrem Atelier in Bern Bethlehem stellt sie Kopfbedeckungen nach Mass her.
«Ich habe kein Hutgesicht.» Dieser Satz ist Sarah Rainer-Pranter schon mehr als einmal begegnet. Die gelernte Hutmacherin und Modistin schmunzelt darüber. «Das Gerücht hat sich irgendwie festgesetzt. Ich glaube, das ist Blödsinn. Es gibt für jedes Gesicht eine Hutform, die gut aussieht.» Bei dem Variantenreichtum an Kopfbedeckungen müsse man eben nur die Richtige finden. Glücklicherweise bietet die Hutmacherin ihre Kreationen nach Mass in vielen Formen und Farben an.
Sie stellt Hüte und Mützen her, zählt Männer als auch Frauen zu ihren Kunden. Wer glaubt, dass vor allem ältere Männer bei Rainer-Pranter Schlange stehen, irrt allerdings. «Meine Kundschaft ist bunt gemischt. Viele junge Leute kommen zu mir, das freut mich sehr», sagt sie. In Vordergrund steht meist der Wunsch nach einem besonderen Stück, das man lange tragen möchte. Dafür verwendet die Hutmacherin edles Material wie Hasenhaar, kauft alte Bestände von Hutmachereien auf. Sie schwärmt: «Diese alten Rohlinge sind von toller Qualität und oft speziell.» In ihrem Beruf braucht sie neben der Kreativität viel Augenmass und Geschick, muss Materialien passend auswählen, denen den richtigen Schwung geben. «Ich mag es, mit den Händen zu arbeiten. Einerseits braucht das Formen der Hüte und Krempe Kraft, dann muss ich wieder bügeln und trocknen lassen. Beim Nähen achte ich andererseits auf feine Details.» Durch ein edles Innenfutter gibt sie dem Stück noch einen individuellen Touch mit. An einem durchschnittlichen Modell arbeitet Rainer-Pranter ca. sechs Stunden. Dafür braucht es viel Übung, sie ist pragmatisch: Hat die Hutmacherin eine Idee, probiert sie sie aus. «Da habe ich den einen oder anderen Rohling auch mal verhauen. Das gehört dazu», lacht sie. Der klassische Fedora ist ihr absoluter Lieblingshut, Filzhüte sind die Bestseller. Allerdings ist Rainer-Pranter auch fasziniert von Trachten. «Diese traditionellen Formen aufzunehmen und neu zu interpretieren, mag ich besonders.»
Helme aus Karton
Gerne arbeitet die Hutmacherin mit Federn und aussergewöhnlichem Hutschmuck. «Solchen hätte früher die Modistin aufgenäht. Heute gibt es den Beruf fast nicht mehr, oft noch am Theater.» In einer Kostümabteilung fühlt sie sich auch wohl, kann dort mit besonderen Materialien wie Fell arbeiten. Gerade war sie sechs Wochen für die aktuelle Produktion der Seebühne Bregenz im Einsatz. «Hier mache ich als Teil der Hutmacherei alle Hüte für die Darsteller. Dieses Jahr war es speziell. Wir haben Helme aus Karton geformt. Da muss man flexibel und erfinderisch sein.»
Rainer-Pranter erzählt alles mit einem breiten charmanten Akzent. Sie ist in Tirol aufgewachsen. «In einem kleinen Dorf auf einem Berg- bauernhof», erinnert sie sich. «Fast zu kitschig, aber schön.» In ihrer Familie wurde altes Handwerk schon immer geschätzt, so lernte die junge Österreicherin erst Schreinerin. «Mit 21 wurde mir dann bewusst, dass es den Beruf des Hutmachers gibt.» Filz als Material mochte sie schon vorher. Es liegt ihr, ihn mit der Hand zu vernähen. Sie absolvierte eine Hutmacher-Lehre und lebte in Wien. «Weil es nur noch so wenige Hutmacher gibt, ist schon viel Wissen verloren gegangen. So habe ich überall, wo ich gearbeitet habe, danach gestrebt, mir viele Kenntnisse anzueignen. Das Wissen musste ich mir zusammensuchen.» In den Werkstätten findet sie ausschliesslich alte Werkzeuge vor, innovative Maschinen gibt es für Hutmacher nicht. «Ich mag es gerne, wie die Zeit dort stehengeblieben ist. Aber bei den Hüten will ich Neues schaffen.»
Seit vier Jahren nennt sie nun Bern ihr Zuhause. Was verschlug sie in die Schweizer Bundesstadt? «Die Liebe! Mein Freund hat hier eine Ausbildung gemacht. Bern ist eine Stadt, in der man viel Spass haben kann. Ich mag es hier sehr.» Die lockere Lebensart ist ihr gleich aufgefallen, aber auch, dass alle pünktlich und gut organisiert sind. «Diese Verlässlichkeit ist sehr positiv.» Sowohl in ihrem Atelier im Loeblager als auch zu Hause kommt sie viel unter Menschen, denn die Hutmacherin lebt in einer WG mit 14 Leuten. So fühlte sie sich schnell in der Bärenstadt wohl. Im Sommer geniesst sie die Aare. «So in einem Fluss zu schwimmen, ist schon einzigartig. In Österreich wäre das aus Sicherheitsgründen sicher gleich verboten.»
Mehr Hut wäre gut
Um ihr Atelier bekannter zu machen, ist Rainer-Pranter an Schautagen und auf Instagram unterwegs. Dieses Selfmarketing sei heute unabdingbar, gibt sie zu, aber auch die Mund-zu-Mund-Propaganda ist wichtig. Die Fotos auf ihrem Account versprühen Eleganz und eine Prise Nostalgie. Wünscht sich die Hutmacherin die 60er zurück, als kein Mann ohne Hut aus dem Haus ging? Sie lacht: «Nein, aber ich möchte die Menschen schon animieren, mehr Hut zu tragen. Wir dürfen heutzutage wieder mutiger sein und die Individualität feiern.» Schliesslich sei der Hut nicht nur ein praktischer Regen- oder Sonnenschutz, sondern ein tolles Accessoire, um den eigenen Typ zu unterstreichen. «Ein Hut kann eine grosse Wirkung entfalten, ist auch ein Stück weit Verkleidung», so Rainer-Pranter weiter.
Vor allem soll die Kopfbedeckung im Alltag Freude machen. So näht die Hutmacherin auch gerne Stoffmützen. «Die sind praktischer und passen in den Ferienkoffer.» In Zukunft will sie ihr Repertoire in Richtung Festmode erweitern. Der passende Faszinator zum Kleid adelt das Outfit. Die Hutmacherin fasst es zusammen: «Kleine Sache, grosse Wirkung.»
Michèle Graf
PERSÖNLICH
Sarah Rainer-Pranter (29), liiert, lebt in Bern und stammt aus Lienz in Osttirol. Seit acht Jahren ist sie als Hutmacherin tätig. Ihre Freizeit verbringt sie gerne mit Lädele oder in der Natur beim Pilze sammeln.