Er ist mit 181 Zentimetern nicht der Grösste, mit 97 Kilo nicht der Schwerste. Doch dank seiner Technik, seiner Schnelligkeit, seiner Cleverness und seiner Stärke am Boden trotzdem einer der erfolgreichsten Schwinger der letzten 16 Jahre.
109 Kränze hat der Bolliger nach dem Bernisch Kantonalen vom letzten Sonntag und vor dem Eidgenössischen am nächsten Wochenende gewonnen. Zweimal schwang er am Kantonalen obenaus, am Eidgenössischen in Zug könnte Willy Graber zum fünften Mal eidgenössisches Eichenlaub gewinnen – es wäre die Krönung einer einzigartigen Karriere, die in wenigen Monaten zu Ende geht. Der dreifache Familienvater, Dachdecker, Landwirt und Schwinger seit 1996 hat sich entschlossen, am kommenden 4. April 2020 beim Bolliger Hallenschwinget zum letzten Mal in die Zwilchhosen zu steigen – das Ende einer langen Laufbahn steht unmittelbar bevor – das geht auch bei einem «Bösen» nicht ohne Emotionen.
In Wasen der Erste in Zug der Letzte?
2003 in Wasen gewann Willy Graber beim Emmentalischen seinen ersten Kranz, am Sonntag in Zug könnte der letzte dazukommen – es wäre Kranz Nummer 110. Eine wahrlich stolze Zahl. «Klar, dass die jetzige Situation für mich sehr speziell ist. Es geht mir schon unter die Haut. Das war am letzten Sonntag in Münsingen so und das wird auch in Zug nicht anders sein. Aber ich habe nichts zu verlieren, will Freude haben, werde Gas geben und alles versuchen, um bei meiner sechsten Teilnahme an einem Eidgenössischen zum fünften Mal den Kranz zu gewinnen.» Bei einem Blick zurück auf beinahe 20 Jahre als Spitzenschwinger stellt Willy Graber fest, dass die Sportart einen extremen Wandel durchgemacht hat. «Viel mehr Zuschauer und Sponsoren, erhöhte Präsenz in den Medien», stellt Willy Graber fest. Und auf die sportliche Entwicklung angesprochen, meint der Bolliger: «Der Trainingsaufwand ist bedeutend grösser geworden, technisch ist das Niveau gestiegen, weil neben dem Krafttraining auch drei Mal pro Woche im Schwingkeller an der Technik gefeilt wird.»
Der Graber-Spezial
Willy Graber ist technisch so stark, dass sogar ein Schwung nach ihm benannt ist. Im Schwinger-Lehrbuch heisst er zwar Hüftdrehschwung, doch diesen hat der Publikumsliebling auf allen Schwingplätzen so abgeändert, dass er zum Graber-Spezial wurde. Bekannt und von den Gegnern gefürchtet ist Willy Graber aber vor allem auch dank seiner ausgezeichneten Bodenarbeit. Hat er einen Gegner einmal am Boden, gibt es für diesen praktisch kein Entrinnen mehr. Sie suchen dann den Weg an den Rand des Sägemehlrings, doch meistens lässt der Routinier eine «Flucht» nicht zu. Am Boden kam es auch schon zu ganz speziellen Situationen, wie Willy Graber aus seinem Erinnerungsschratten zu berichten weiss. «Einmal hat mir ein am Boden liegender Gegner gesagt: ‹Chum Wilu, fertig, i liege ab.›» Die Schmerzen waren wohl zu gross… Genau diese Stärke am Boden wird in Zug gefragt sein. Das nicht optimale Abschneiden der Berner am Brünig (er selbst litt unter einer Magen-Darmgrippe und war nicht im Vollbesitz seiner Kräfte) bereitet Willy Graber keine Sorgen. «Die Verletzten sind wieder zurück, wir Berner werden einander helfen, hoffentlich so erfolgreich, dass am Schluss, wie schon 2010, 2013 und 2016, wieder ein Schwinger aus dem Kantonalbernischen Schwingerverband nach dem Schlussgang auf die Schultern gehoben wird und möglichst viele seiner Kollegen mit dem Kranz geehrt werden.» Für Willy Graber wäre es der wunderschöne Schlusspunkt einer langen, erfolgreichen Karriere, in der es ihm vor allem Spass gemacht hat. Ab dem 4. April will er sich noch intensiver seiner Frau und seinen drei Töchtern widmen. Wer weiss, vielleicht kommt ja in Bälde noch ein Sohn dazu – die Zwilchhosen stünden bereit.
Pierre Benoit