Die letzten Tage verliefen für YB-Sportchef und die Chefetage ruhelos und hektisch, am Montag indes überschlugen sich die Ereignisse geradezu.
Viele Klubs in Europa wollen sich verstärken und greifen tief in die Schatulle. Somit liegt es auf der Hand, dass die Young Boys nach den Auftritten in der Champions League vielerorts eine begehrte Adresse sind, um sich Hoffnungen auf eine erfolgreichere Rückrunde zu machen. Die YBFans sehen das ganze Transfertreiben eher mit einem weinenden denn einem lachenden Auge. Im Gespräch mit dem Bärnerbär klärt Sportchef Christoph Spycher auf.
Schauen wir nochmals auf den Herbst zurück. Es gab viele Hochs, aber auch einige Rückschläge. Wie lautet Ihr Fazit aus Champions League, Cup und Meisterschaft?
Dass wir uns nach drei Qualifikationsrunden für die Champions League qualifizieren konnten, war sehr gut und wird für einen Schweizer Klub immer etwas Besonderes sein. In der Gruppenphase haben wir gegen starke Gegner mithalten können. Das war eine starke Kampagne mit einigen Ausrufezeichen. Leider fehlte am Ende ein Tor zum richtigen Zeitpunkt, um europäisch zu überwintern. Im Cup tat das Ausscheiden in Lugano sehr weh. In der Meisterschaft haben wir zu wenig Punkte geholt, weshalb wir nun in der neuen Rolle des Jägers sind.
Im neuen Jahr sorgt der Meister mit prominenten Transfers für Schlagzeilen. Schwimmt YB jetzt trotz Corona im Geld?
Wir schwimmen sicher nicht im Geld. Aber es trifft zu, dass wir uns ein wertvolles Polster erarbeiten konnten. Das ist auch nötig, um nachhaltig zu arbeiten und für die Zukunft gewappnet zu sein. YB muss wirtschaftlich unbedingt auf einem stabilen Fundament stehen, damit wir unsere hohen sportlichen Ziele anvisieren können.
Die Transfers von Silvan Hefti, Michel Aebischer, Jean-Pierre Nsame und wahrscheinlich auch Christopher Martins haben doch eine Menge Geld in die Kasse fliessen lassen.
Transfererlöse sind ein wichtiger Bestandteil unseres Geschäftsmodells. Es ist bei uns bei jedem Transfer so, dass die Rahmenbedingungen für alle Beteiligten stimmen müssen. Das heisst, dass es sportlich, finanziell und vom Timing her passen muss.
Was bedeuten diese gewichtigen Abgänge in sportlicher Hinsicht? Heisst die Devise nach wie vor «Jagd auf den Leader FCZ» oder wird die Zielsetzung nach unten korrigiert?
Aus unserer Sicht gibt es keinen Grund, die Zielsetzung nach unten zu korrigieren. In der Hinrunde hatten wir 33 Ernstkämpfe. Nun verbleiben noch 17 Spiele. Es ist für uns vor jeder Saison klar, dass wir in der ersten Saisonhälfte ein deutlich grösseres Kader brauchen als nach der Winterpause. Nehmen wir den Transfer von Michel Aebischer als Beispiel: Sein Abschied eröffnet anderen im Kader neue Perspektiven und somit die Chance, eine noch tragendere Rolle zu spielen. Nun werden im zentralen Mittelfeld zum Beispiel Fabian Rieder und Sandro Lauper öfters spielen. Das sind Spieler, von denen wir restlos überzeugt sind. Zudem haben wir bis zum 15. Februar die Möglichkeit, auf dem Transfermarkt noch aktiv zu werden, was wir bei einer guten Gelegenheit auch tun werden.
Die YB-Fans bedauern vor allem den Abgang von Jean-Pierre Nsame …
Das kann ich verstehen. Jean-Pierre ist in Bern eine Legende. Diesen Status hat er sich verdient und wird er auch immer behalten. Auch wir würden am liebsten immer alle Spieler behalten. Aber das geht im Fussball-Geschäft leider nicht.
Was hat zu diesem Transfer geführt?
Wir haben sehr gute Gespräche mit Jean-Pierre geführt. Nach seiner langen Verletzungspause braucht er noch Zeit, um wieder in Bestform zu kommen. Er hat den Wunsch geäussert, den nächsten Schritt auf seinem Weg zurück bei Venezia machen zu können, um seinen Traum von einer grossen Liga zu verwirklichen. Diesem Wunsch haben wir entsprochen, zumal wir mit Wilfried Kanga und Jordy Siebatcheu zwei Stürmer mit ähnlicher Spielweise im Kader haben.
Wie geht es mit Nsame weiter?
Es gibt verschiedene Szenarien. Er wird nun die Rückrunde leihweise mit Venezia bestreiten. Danach werden wir uns mit allen Beteiligten zusammensetzen und entscheiden, ob er in Italien bleibt oder zu YB zurückkehrt. Wir haben mit ihm den Vertrag bis 2024 verlängert. Es ist also eine Option, dass die YB-Fans ihn wieder im Wankdorf zu sehen bekommen.
Beim anstehenden Transfer von Christopher Martins zu Spartak Moskau wird von einer Ablösesumme von fast zehn Millionen Franken berichtet …
Zu Zahlen äussern wir uns in der Öffentlichkeit nicht. Grundsätzlich kann man festhalten, dass ein solches Angebot sowohl den Spieler als auch den abgebenden Klub unruhig macht.
Sie feiern im März ihren 44. Geburtstag und sind nicht mehr täglich im Training. Hier steht der sportliche Erfolg, dort der schnöde Mammon. Beherrschen Sie den Spagat immer noch, ohne sich eine Zerrung zuzuziehen?
Den Spagat schaffte ich schon früher als Spieler nicht. Wobei: Vielleicht konnte ich ihn im Säuglingsalter, aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern…
Hohe Siege in den Vorbereitungsspielen und dann ein hart erarbeiteter Starterfolg gegen Lugano. Wie zuversichtlich sind Sie für die Fortsetzung?
Wir sind sehr optimistisch, wissen aber auch, dass wir gezwungen sind, punktemässig klar besser abzuschneiden als in der Hinrunde. Der FCZ spielt bisher eine herausragende Saison, Basel ist auch gut im Rennen. Ich gehe davon aus, dass es bis zum Schluss einen spannenden Dreikampf um den Titel geben wird.
Pierre Benoit