Eine Galionsfigur ragt über das Segelschiff hinaus, elegant geschwungen, vergoldet und stellt die Personifikation des Schiffnamens dar. Auch YB hat(te) eine Galionsfigur, die zwanzig Jahre lang alles überragte und den Namen des Meisters perfekt repräsentierte: Marco Wölfli – immer voran und doch zuhinterst, im Tor.
Nach 22 Jahren YB – mit einem eineinhalbjährigen Unterbruch beim FC Thun – geht die Ära Marco Wölfli bei YB in einigen Tagen auf dem Rasen zu Ende. Nach einer Pause, in der er sich vor allem um die Familie kümmert, wird er die Arbeit bei YB wieder aufnehmen und Teilzeit im Bereich Verkauf und PR tätig sein – quasi als YB-Botschafter. Doch zuerst stand er vorgestern wieder im Einsatz und wie immer erledigte er seine Aufgabe perfekt. «Es war schön, wieder einmal auf dem Rasen zu stehen», so der Mann mit der Nummer 1.
Wer Ihre Karriere verfolgt hat, kommt um viele Klischees nicht herum. Klubtreue, Zuverlässigkeit, Vorbild, Held, Fairness – die Liste liesse sich beliebig verlängern. Worauf legten Sie während Ihrer Laufbahn besonders Wert?
Auf ehrliche Arbeit. Auch in schwierigen Situationen positiv zu bleiben, ein Leader zu sein und immer mehr trainieren. Probleme gibt es immer, die Frage bleibt, was man aus ihnen macht. Fussball ist die beste Lebensschule.
Seit über zwei Jahrzehnten haben Sie nicht viel anderes gemacht als Fussball zu spielen. Wie geht es in Ihrem Leben nach dem Saisonende weiter?
Fussball war immer mein Hauptberuf, meine Leidenschaft. Ich habe seinerzeit im Immobilienbereich eine Lehre begonnen und auch hier ist die Begeisterung geblieben. Ich habe auch während meiner Zeit als Fussballer immer wieder Immobilien gekauft und verkauft, Bauleitungen geführt und Dokumentationen erstellt. Während andere in den Trainingslagern im Hotel spielten, zeichnete ich Pläne. Zimmerkollege Scott Sutter meinte jeweils: «Der Architekt ist wieder am Werk.» Ich werde sicher in diesem Bereich aktiv sein. Aber ich bin auch glücklich, dass ich weiterhin für YB tätig sein werde. Bald in neuer Rolle.
Seit Walter Eichenberger hat nie mehr ein YB-Goalie eine ähnliche Popularität erreicht wie Sie. Wird Ihnen das Rampenlicht fehlen?
Ich habe das Rampenlicht nie gesucht. Wichtiger waren mir der Spass und die Freude, die Genugtuung, das Hobby zum Beruf gemacht zu haben. Mir wird mehr das Kabinenleben mit den verschiedenen Kulturen fehlen.
Auffallend an Ihren Auftritten war vieles: Motivator, Penalty-Killer, und vor allem Meister der Fussabwehr gegen allein anrennende Stürmer. Sind Sie ein verhinderter Feldspieler?
Als Junior habe ich oft auch draussen gespielt, eine Halbzeit im Tor, eine Halbzeit als Feldspieler. Aber ich bin kein Show-Goalie. Meine Spielart ist risikoreich, deshalb vielleicht auch die vielen Fussabwehren.
Aussergewöhnliche Spiele waren in Ihrer gesamten Laufbahn Ihr ständiger Begleiter. Deshalb ein kurzer Test mit einigen besonders herausragenden Daten. Machen Sie mit?
Selbstverständlich.
9. Oktober 1999.
Mein erstes Spiel in der ersten YB-Mannschaft im alten Wankdorf. Ich war 17 und kassierte schon nach drei Minuten das erste Tor. Obwohl mich keine Schuld traf, war dies der Moral nicht förderlich. Zum Glück schlugen wir Stade Nyonnais noch 3:2.
19. November 2003.
Das Rückspiel in der Barrage für die Teilnahme an der U21-EURO in Deutschland. Das Hinspiel ging in Basel 1:2 verloren und in Ostrau lagen wir gegen Tschechien nach einem Gegentor und einer roten Karte gegen Marco Streller mit einem Mann weniger 13 Minuten vor Schluss 0:1 zurück und waren gegen einen sehr starken Gegner praktisch chancenlos und ausgeschieden. In den letzten 13 Minuten drehten wir das Spiel und siegten nach einer torlosen Verlängerung im Penaltyschiessen. Der Teamspirit war unglaublich, die Emotionen am Spielende waren es ebenso.
19. November 2008.
Mein erstes Länderspiel gegen Finnland. Wir gewannen 1:0, ich hielt mein Tor rein. Es lief perfekt.
28. April 2018.
Das ist das Highlight aller Highlights. Jeder Berner kennt dieses Datum. Es war ein Abend der Emotionen, wie wir sie alle lieben. Sehe ich heute die Bilder, bekomme ich immer noch Hühnerhaut. Der abgewehrte Penalty, das Siegestor kurz vor Schluss. Es hat alles gestimmt, auch der zeitliche Ablauf im Spiel, einfach fast zu schön, um wahr zu sein. Morgens um acht Uhr war ich zuhause.
Pierre Benoit