
Mittelfeldspieler Michel Aebischer (21) steht für all das, was YB sein will: jung, talentiert und hungrig. Doch im Lift nach oben ist das Gedränge gross. Gut, dass der Freiburger kein Problem mit der Geduld hat.
Wie nahe Flug und Landung im Fussball beisammen liegen – Michel Aebischer hat es eben wieder einmal erfahren. Als wir zu Beginn des Monats Oktober einen Termin vereinbaren, schwebt der 21-Jährige gerade auf Wolke 7, er spielt regelmässig und wird in der Champions League für die letzte halbe Stunde gegen Manchester United eingewechselt. Drei Tore sind ihm bis dahin gelungen, es scheint alles für ihn zu laufen. Ein Treffen mit dem Shooting-Star? Das wäre die Idee gewesen. Nun, ein paar Wochen später, sieht die Realität ein wenig anders aus. Michel Aebischer ist in der Hierarchie in der Nationalmannschaftspause einen Platz nach hinten gerutscht und muss vermehrt zuschauen. Das ist zwar nicht ideal, aber noch lange nicht schlecht. Es ist vielmehr normal. Denn das macht diese Geschichte eigentlich noch besser, weil noch passender für seinen Klub und die Situation in der sich dieser befindet.
Schon im Nachwuchs ein Sieger
Seit Christoph Spycher im Frühherbst 2016 das Ruder als Sportchef übernommen und einen neuen Kurs ausgerufen hat, ist das Momentum beim Sportunternehmen BSC Young Boys gekippt. Von nun an sollte Schluss sein mit dem teuren Zickzack-Kurs, der im besten Fall zur Verholzung des
Status als ewiger Zweiter geführt hätte. Der junge Spycher hatte eine klare Vision: YB sollte die beste Adresse für junge Spieler im Land werden. Im Wissen, dass nicht nur draussen in der grossen, weiten Welt, sondern auch im eigenen Nachwuchs, den er als vormaliger Talentmanager bestens kannte, Talente auf ihre Chancen warten. Talente wie Michel Aebischer, der just in jener Phase seine ersten Einsätze in der ersten Mannschaft erhalten hatte. «Das Loser-Image der Young Boys – das kannte ich aus der Presse und vom Hörensagen», sagt der Mittelfeldspieler denn auch ziemlich gelassen. «Bei uns im Nachwuchs war das anders. Da waren wir erfolgreich, da waren wir Gewinner.» Natürlich, so könnte man jetzt einwerfen, tritt der junge Mann mit breiter Brust auf. Die Young Boys sind Meister geworden, sie dominieren das aktuelle Championat, sind im Cup noch dabei und mittlerweile auch in der Champions League angekommen. Und dennoch merkt man schnell, dass das Selbstverständnis, das Aebischer hier an den Tag legt, tiefer als in den jüngsten Er folgen wurzelt. Er selbst sagt, das liege in seiner Persönlichkeit, tatsächlich ist es wohl aber auch ein neuer Geist, der bereits seit geraumer Zeit durch den Berner Unterbau geistert. Die Jungen sind gut ausgebildet und wissen genau, was sie wollen. Obschon einige der jungen Schweizer Spieler von auswärts kamen (u.a. Sow, Mbabu, Lotomba), hat der frische Wind, der von unten ins Team weht – und sei es nur schon durch die verschärfte Konkurrenzsituation – zweifelsohne zum Umschwung beigetragen.
Immer noch Gottéron-Fan
Michel Aebischer ist jedenfalls ein echter Young Boy. Seit er mit 16 Jahren vom FC Freiburg gekommen ist, hat er seine Jugend hier verbracht. Wobei es wichtig festzuhalten ist, dass mit diesem «hier» der Klub und nicht die Stadt gemeint ist: Freiburger ist Aebischer geblieben, noch heute lebt er bei seinen Eltern in Heitenried und sagt von sich, er sei immer noch Gottéron- und nicht SCB-Fan. Doch im Stade de Suisse hat er seine Lehre in der Marketingabteilung und in der Buchhaltung des Vereins gemacht, seine Ausbildung als Fussballer genossen, sich seinen Status als Junioren-Nationalspieler erkämpft und den Sprung zu den Profis gemacht. Hier ist er in der letzten Saison, notabene in seinem ersten Profijahr, gleich Schweizer Meister geworden. Ein Umstand, der zusätzlich verbindet. «Wenn man so etwas gemeinsam erlebt, findet man in einer Mannschaft und in einem Klub noch mehr zusammen», sagt er. Gleichzeitig ist er in einem richtigen Grossklub sozialisiert worden. Das heisst, er hat gelernt, dass er in einer Umgebung gross geworden ist, in der es mit Talent alleine keinen Freipass gibt. Eine Konkurrenzsituation, bei der es ums Essenzielle, konkret um die Einsatzminuten geht, fordert den Spieler, bereitet ihn aber auch auf das vor, was später kommen wird. So ist zu erklären, dass Aebischer, obschon er bereits in der dritten Saison mit von der Partie ist, eine Rückstufung nicht als Rückschlag empfindet. Dass er es ge niesst, wenn er spielen darf und ruhig Blut bewahrt, wenn er danach wieder ein paar Spiele auf der Bank Platz nehmen muss. Es sind fürwahr keine Floskeln, die der junge Schlaks da drischt. Man spürt aus seinem Auftreten ein schöne Portion Unbekümmertheit und auch ein gewisses Urvertrauen.
Ein Gastbeitrag von Matthias Müller, FOOT