Wer beim Lesen des Titels denkt, Malaurie Granges sei begeisterte Briefmarkensammlerin, befindet sich auf dem Holzweg. Die junge Unterwalliserin stürmt für die YB-Frauen und ist im Fussball eine Rarität.
Das Testspiel gegen das in der Nationalliga B spielende Team von Thun Berner Oberland auf dem Sportplatz Wyler gibt die Gelegenheit, uns mit der pfeilschnellen Stürmerin zu unterhalten. Kürzlich musste sich Malaurie Granges am linken Knie eine Ziste operativ entfernen lassen.
Deshalb sitzt sie auf der Tribüne, statt auf dem Feld zu stürmen. «Bis die Meisterschaft losgeht, hoffe ich wieder mittun zu können», sagt die 20-Jährige aus dem Unterwallis. Im ersten Spiel der Rückrunde gilt es, im Kampf um den Anschluss an die Spitze bei dem von der ehemaligen YB-Trainerin Marisa Wunderlin gecoachten St. Gallen-Staad zu punkten – hoffentlich mit Granges’ Toren. Sie, die erfolgreichste Torschützin der Vorrunde.
Viermal drei Stunden Fahrt ins Training
Malaurie Granges ist nicht irgendeine Fussballerin. Nichts gegen Spielerinnen, die ein Fernstudium absolvieren oder in einem Büro ein paar Stunden Administratives erledigen.
Doch bei der YB-Frau mit der Nummer 13 sieht der Alltag anders aus. Vor zwei Jahren hat sie ihre Lehre als Schreinerin abgeschlossen. «An der Prüfung schreinerte ich unter anderem ein Fernsehmöbel», sagt sie. Das scheint gut gelungen zu sein. Die Prüfung hat sie bestanden, und der Fernseher steht immer noch kerzengerade auf dem Möbel – Präzisionsarbeit, genau so wie vor dem gegnerischen Tor, wenn sie die Torhüterinnen düpiert.
Das Seltene kommt erst. Noch heute übt sie den Beruf aus, und zwar in ihrer Heimat, in einem Betrieb in Bovernier in der Nähe von Martigny. 60 bis 70 Prozent ist sie mit Sägen, Hobeln, Schleifen und Montieren beschäftigt, ehe sie viermal in der Woche mit dem Zug den eineinhalbstündigen Weg ins Training und zum Spiel nach Bern antritt. Ebenso lang dauert die Fahrt zurück. «Manchmal schlafe ich auf der Rückfahrt, denn das Training unter Imke Wübbenhorst ist anstrengend», sagt Granges.
Man stelle sich vor, ein männlicher Kollege nähme diese Mühe auf sich, um Fussball zu spielen. «Das ist kein Problem, ich mache das gerne, ich könnte ja auch in Bern wohnen, doch ich will weiter im Wallis arbeiten und leben.»
Ebenso selten wie die Kombination Fussballerin/Schreinerin ist ihr Vorname. Malaurie, so sonor, melodiös und wohlklingend das auch tönt, findet sich auf der Liste der am häufigsten gewählten Mädchennamen gerade einmal auf Rang 28 242.
Damit ist Malaurie durchaus vergleichbar mit einer der seltensten und bei Sammlern heiss begehrten Briefmarke, der «Blauen Mauritius», von der gerade einmal zwölf Exemplare bekannt sind und die im Jahr 2021 auf einer Auktion in Ludwigsburg für sage und schreibe über zehn Millionen Franken ersteigert wurde. So hoch ist der Marktwert von Malaurie Granges (noch) nicht, doch hohe Ziele strebt auch sie im Fussball und mit den YB-Frauen an.
Bei der Frage, was sie noch erreichen möchte, lächelt sie. «Das Ziel ist Platz 1, doch vor allem wollen wir uns noch von Platz 4 weiter nach oben verbessern. Gegenüber der letzten Saison haben wir schon einen
grossen Sprung gemacht. Neue Spielerinnen und auch eine neue Trainerin, die hervorragende Arbeit leistet, sind zu uns gestossen.»
Bis Ende Saison bei YB, dann …
Begonnen hat die Vollblut-Stürmerin beim FC La Combe, wo ihr jüngerer Bruder derzeit spielt. Bei Martigny kickte sie dann weiter mit Buben bei den U12 und U13, zwischenzeitlich auch beim FC Sion mit einer Doppellizenz. Als sie unter Monica di Fonzo und Brigitte Steiner in die Schweizer Nachwuchsauswahlen U16 und U17 aufgeboten wurde, blieb ihr Talent nicht unerkannt. So kam der Wechsel zu den YB-Frauen zustande, wo sie über die Nachwuchsequipen U17 und U19 den Weg ins Fanionteam fand, aus dem sie heute nicht mehr wegzudenken ist.
Klar, dass Malaurie Granges den Weg vieler im Ausland spielender Fussballerinnen aufmerksam verfolgt. Karrieren wie sie die Bernerinnen Lia Wälti bei Arsenal oder Ana-Maria Crnogorcevic beim FC Barcelona erleben, wecken auch bei jungen, aufstrebenden Spielerinnen Begehrlichkeiten. «Ich werde Ende Saison sicher bei YB bleiben, doch in ferner Zukunft könnte ich mir einen Wechsel ins Ausland durchaus vorstellen, in die Bundesliga zum Beispiel.» Lionel Boisset, Chef der Menuiserie in Les Valettes, müsste dann wohl doch Ersatz für seine Schreinerin suchen …
Nicht vergessen darf man das A-Nationalteam. Die Weltmeisterschaftsendrunde in Australien und Neuseeland im kommenden Sommer steht auf dem Programm, mit Inka Grings coacht eine neue Trainerin das Team, mit Marion Daube leitet eine neue Chefin den Schweizer Frauenfussball. Durchaus denkbar, dass im Aufgebot auch der eine oder andere neue Name auftauchen wird.
Warum nicht Malaurie Granges? «So weit schaue ich noch nicht, schön wäre es sicherlich.» Und Lionel (Boisset) – der Name bürgt für Qualität – hofft, dass er noch lange auf die präzisen Dienste seiner Schreinerin zählen kann.
Pierre Benoit
Malaurie Granges wurde am 13. Juli 2002 in Martigny geboren. Sie begann ihre Karriere beim FC La Combe, spielte für Martigny und Sion und seit 2018 für YB. Sie absolvierte im vergangenen Sommer die Spitzensport-RS in Magglingen, erwarb bereits das Trainer-C-Diplom und arbeitet zu 70 Prozent als Schreinerin.