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Die Frau, die sämtliche Vorurteile Lügen straft

Nicht wenige Schiedsrichter greifen zur Pfeife, weil sie als Fussballer weniger Talent als linke Füsse haben und geben dies offen zu. Nicht so die Bernerin Désirée Grundbacher. Ihr Wechsel hatte andere Gründe: Privatleben vor Fussball, heisst ihr Motto.

Stellen Sie sich vor: Einer Stammspie-lerin des Frauen-Nationalteams, Cupsiegerin und Vizemeisterin liegt als erster Frau in der Schweiz ein Vertrag als Halbprofi bei GC auf dem Tisch – und sie unterschreibt nicht. Sie hängt die Fussballschuhe zwar nicht an den Nagel, weil ihr diese auch als Schiedsrichterin nützlich sind, entscheidet sich aber, einen einfacheren, für sie besser passenden Weg einzuschla-gen. «Ich war es satt, all meine Ferien für Nationalteam-Zusammenzüge aufzuwenden, ich hatte andere Ziele. Ich wollte eine Familie gründen, Kinder haben – das alles hätte sich mit dem Leben als Halbprofi neben dem Beruf nicht vereinbaren lassen», erklärt Désirée Grundbacher diesen für Aussenstehende schwer nachvollziehbaren Schritt.
Aus verschiedenen Gründen bereut sie ihren Entscheid nicht. Auf dem Fussballplatz begann bei der Frau mit dem wohlklingenden Vornamen (die Erwünschte, die Herbeigesehnte) die Love-Story. Der Mittelstürmer hatte an diesem Tag nur Augen für die hübsche Pfeifenfrau und weniger für den Ball – das Resultat ist eine bereits zehn Jahre dauernde Partnerschaft, aus der zwei Buben entstanden (fünf Jahre und elf Monate).
Auch auf dem Feld lief es bestens, kletterte sie Stufe um Stufe empor. Als FIFA-Referee pfiff sie schon Spiele in der Women’s Champions League, in der WM und der EM-Qualifikation, und in der Schweiz steht sie nach erfolgreichen Auftritten in der 1. Liga Promotion jetzt in der Challenge-League-Talentgruppe.

Eine Ausnahme mit Folgen
Den Beginn der Liebesgeschichte vom Fussballplatz verdankt Désirée Grundbacher ihrer besten Freundin. «Sie ermutigte mich, erstmals auf eine Facebook-Meldung eines Spielers zu reagieren. Heute muss ich sagen, dass ich froh bin, eine Ausnahme gemacht zu haben», blickt die Bernerin zurück. Die früher gegenüber Schiedsrichterinnen gängigen Spieler-Komplimente («Du hast schöne Beine und perfekt lackierte Fingernägel» oder Macho-Sprüche à la «Hast du die ‹Lismete› dabei?») kennt Désirée Grundbacher nicht.
Die Gespräche werden vor allem vor und nach dem Spiel geführt. «Bei der Ankunft im Stadion sagen immer wieder Spieler, die mich schon kennen: ‹Schön, dass du uns pfeifst›, oder bedanken sich nach dem Match für meine Leistung.»

Nicht «arbeitslos»
Während die Spieler in den unteren Ligen bis hinauf in die 1. Liga Promotion derzeit wegen Corona zurUntätigkeit verurteilt sind, weil der Spielbetrieb ruht, steht die ehemalige Nationalspielerin regelmässig im Einsatz. Sogar Testspiele mit Klubs aus der Super- und Challenge League darf sie leiten, zuletzt tanzten beispielsweise Vaduz- und GC-Akteure nach ihrer Pfeife.
Es scheint, als ob die Bernerin als Schiedsrichterin an ihre Erfolge als Spielerin anknüpfen kann. «Mein Tor im Nationalteam in Holland in der 93. Minute und der Cupsieg mit GC/Schwerzenbach bedeuteten die Höhepunkte. Mein erklärtes Ziel ist es, einmal an einem WM-Finalturnier der U17-Frauen pfeifen zu dürfen», sagt die Frau, bei der das Privatleben immer über dem Fussball stand, obwohl sie auch auf dem Rasen – ob als Spielerin oder Schiedsrichterin – stets einen gesunden Ehrgeiz an den Tag legt. «Die grossen Turniere wie EM oder WM wären aber ein Geschenk, das ich sicher annehmen würde.» Sie trainiert sechsmal wöchentlich, es gefällt ihr, dass sie dann trainieren kann, wenn es ihr passt und sich ihr Trainingsprogramm selbst zusammenstellen darf, obwohl es für eine FIFA-Schiedsrichterin selbstverständlich auch Vorschriften zum Fitnessprogramm gibt.
Absolviert Désirée Grundbacher ihre Einhei-ten, braucht sie sich keine Sorgen um das Wohl der beiden Buben zu machen. Mutter, Freundin Sina, Kinderbetreuung im Fitnesscenter oder der Partner José kümmern sich um die Knaben, von denen der Ältere, Mael Jése, bei den G-Junioren des FC Bubendorf bereits fleissig Fussball spielt und einiges an Talent mitbringen soll. Als Fussballer und nicht als Schiedsrichter…

Pierre Benoit

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