Die Ausgangslage für Niklas Schlegel ist vergleichbar mit derjenigen, in der sich Marco Bührer vor 18 Jahren befand. Er hatte damals die Aufgabe, beim SCB Publikumsliebling Renato «Toto» Tosio zu ersetzen.
Jetzt kommt wieder ein Zürcher nach Bern, um die Nachfolge eines anderen grossen Goalies, Leonardo Genoni, anzutreten. Wie Marco Bührer, der drei Meistertitel holte, könnte auch Niklas Schlegel in Bern glücklich werden. Die Voraussetzungen scheinen optimal zu sein. Beim SCB wird seriöser verteidigt als in Zürich, das System Trainer Kari Jalonens ist für einen Torhüter optimal, das könnte Schlegels Aufgabe erleichtern. Titelkampf statt Playouts – die Aussichten sind rosig.
Seit ein paar Wochen leben Sie erstmals in der Fremde. Wie fühlt sich ein Zürcher in Bern? Sehr gut. Der Wohnort, die Mannschaft, alles passt. Das Training ist streng, aber ich bin äusserst zufrieden.
Wie haben Sie bisher das Sommertraining erlebt? Roland Fuchs eilt der Ruf voraus, ein harter Hund zu sein. Die Sommertrainings sind sich überall ähnlich. Die Fitness-Coaches sind gut ausgebildet, auf einem sehr hohen Niveau. Roli Fuchs weiss, wie er uns schleifen kann und muss.
Schon bei der Vertragsunterzeichnung waren Sie sich bewusst, dass Ihr Vorgänger beim SCB tiefe Spuren hinterlassen hat. Ist das für Sie mehr Ansporn oder Belastung? Für mich ist dies eher Ansporn. Die Fussstapfen sind tief, aber ich will eigene hinterlassen. Wir starten in eine neue Saison, alles beginnt bei Null.
Sagt Ihnen der Name René Kiener etwas? Ja, ich habe gesehen, dass sein Leibchen mit der Nummer 0 im Dach der PostFinance-Arena hängt.
Kein Wunder. Er ist eine SCB-Legende und war der erste SCB-Meistergoalie in den Jahren 1959 und 1965. Ich freue mich, ihn hoffentlich bald kennenzulernen.
Dieser heute 81-jährige Mann stand am Beginn der langen Liste herausragender Goalies beim SCB. Kiener, Jäggi, Grubauer, Tosio, Bührer, Genoni. Jetzt ist die Reihe an Caminada und Schlegel. Meister wird man nur mit einem herausragenden Goalie. Wer Meister werden will, braucht nicht nur einen guten Goalie, sondern eine starke Mannschaft. Ein guter Goalie allein genügt nicht, um Meister zu werden.
Bei den ZSC Lions teilten Sie sich mit Lukas Flüeler die Goalie-Position zu ziemlich gleichen Teilen. Wie sehen Sie die Zukunft beim SCB, wo es mit Pascal Caminada auch einen heissen Konkurrenten um den Platz als Nummer 1 gibt. Wie es herauskommt, entscheidet die Trainercrew. Heute ist es nicht mehr wie früher. Bei 80 Spielen braucht ein Team zwei Torhüter. Die Goalies sind ein Team im Team, das harmonieren muss.
Sie kennen das Wechselbad der Gefühle. Mit den ZSC Lions waren Sie Meister, mussten aber auch in die Playouts. Welche Erinnerungen sind damit verbunden? Es waren zwei sehr lehrreiche Jahre. Man lernt im Erfolg, aber auch im Misserfolg.
Der SCB war in den letzten vier Jahren dreimal Meister. Mit welchen Erwartungen starten Sie in die Saison? Ich will immer hundert Prozent leisten und mein Bestmögliches geben. Als Team wollen wir gewinnen und es dem Gegner in jedem Spiel so schwer wie möglich machen.
Die SCB-Fans lieben und verehren ihre Goalies, feiern Sie mit persönlichen Schlachtrufen und jubeln bei gelungenen Paraden des eigenen Schlussmanns genauso wie bei erzielten Toren. Was fühlen Sie, wenn Sie erstmals vor 17 031 Zuschauern in der PostFinance-Arena zwischen den Pfosten stehen? Stolz, Freude und eine grosse Motivation. Es ist schön zu wissen, dass 95 Prozent der Fans dich anfeuern. Die Kulisse in Bern ist sehr speziell. Mit ihrer Unterstützung können die Fans dem Team noch einen zusätzlichen Schub verleihen.
Goalies werden immer grösser, Ari Sulander beispielsweise ist zehn Zentimeter grösser als Sie. Ist es schwieriger, als relativ kleiner Goalie im Tor zu stehen oder gilt es einfach, einen anderen Stil zu pflegen? Jeder Goalie spielt seinen eigenen Stil, da ist nicht die Grösse, sondern sind die Details entscheidend.
Was sagen Sie zur Schlagzeile im Bärnerbär nach dem letzten Playoff-Finalspiel gegen die ZSC Lions: «Der überragende Niklas Schlegel führte den SCB zum Titel»? Das wäre ein schöner Titel, aber die Mannschaft stünde bei diesem Titel zu wenig im Vordergrund. Denn Meister würde nicht ich, sondern das Team, der gesamte SCB.
Pierre Benoit