«Er hatte Nerven aus Stahl und hasste es, zu verlieren»

Sie waren Freunde, Rivalen, schwangen zusammen und gegeneinander, jassten und fischten, lachten und neckten sich, besuchten YB- und SCB-Spiele: Keiner kannte Rudolf Hunsperger so gut wie Fritz Uhlmann.

Am vergangenen Freitag sass Fritz Uhlmann ein letztes Mal am Krankenbett seines Freundes Ruedi. «Es war fast wie immer. Wir plauderten über vergangene Zeiten, lachten und fühlten uns in unseren Erinnerungen um fünfzig Jahre zurückversetzt», sagt Fritz Uhlmann, einer der wenigen, gegen die Ruedi Hunsperger sich zwischendurch auch einmal das Sägemehl vom Rücken putzen lassen musste. Knapp 24 Stunden später war Ruedi Hunsperger tot. Die Schmerzen, die ihm seit der Verabreichung einer nicht sterilen Spritze vor 18 Jahren das Leben erschwerten, wurden immer unerträglicher. Und weil ihm nach unzähligen operativen Eingriffen in den letzten Jahren auch noch eine Beinamputation bevorstand, wählte Ruedi Hunsperger mit 72 den Freitod. Am Samstagvormittag schlief er im Beisein von Sohn, Tochter und Schwester in seinem Heim in Zollikofen ein.

Seelenruhig kam er zu spät
Ruedi Hunsperger und Fritz Uhlmann waren in den Sechziger- und Siebzigerjahren im Sägemehl erbitterte Gegner und prägten zusammen mit Karl Meli diese Zeitspanne. «Nachdem meine Eltern im Jahr 1963 nach Bern zügelten, trainierte ich mit den Mittelländern und lernte so Ruedi kennen», erinnert sich Fritz Uhlmann. Was im Schwingkeller im Altenberg begann, entwickelte sich neben dem Sägemehlring zu einer dicken Freundschaft. «Wenn wir nicht gerade gegeneinander antreten mussten, standen wir dem anderen mit Rat und Tat zur Seite. In taktischer Hinsicht konnte ich von Ruedi profitieren. Er war im Kopf stark, ruhig, gelassen und vorausblickend, den Gegner analysierend, ich dagegen ein Nervenbündel.» Dies zeigte sich auch immer dann, wenn die beiden zusammen an ein Schwingfest fuhren. Fritz Uhlmann erinnert sich: «Jeden Sonntag lief es nach dem gleichen Schema ab. Hatten wir um sieben Uhr abgemacht, stand ich eine Viertelstunde früher vor dem Haus, lief nervös auf und ab, doch Ruedi erschien jedes Mal seelenruhig 15 bis 20 Minuten zu spät. Auch als wir einmal am Unspunnen im Stau stecken blieben und aus dem Auto die Lautsprecherdurchsage hörten ‹Meli Karl gegen Uhlmann Fritz, Platz 1›, blieb Rüedu die Ruhe selbst. ‹Ganz ruhig Fritz, ohni üs chöi sie nid afa›, meinte er zu mir, ohne mit der Wimper zu zucken.»

«Schteu dä Seich ab»
Weil sie in dieser Zeitspanne die Besten waren, kam es oft zu direkten Aufeinandertreffen, immer wieder auch in Schlussgängen. «Er hatte Nerven aus Stahl und hasste es, zu verlieren», sagt Fritz Uhlmann. Oft siegte Hunsperger, noch häufiger stellten sie, aber Uhlmann erinnert sich auch an Rüedus Reaktionen nach zwei Schlussgängen, die er als Verlierer beendete. «Am Kantonalen in Meiringen 1969 legte ich Rüedu platt auf den Rücken. Auf der Heimfahrt hörten wir auf Radio Beromünster die Meldung, im Oberland habe es eine Überraschung gegeben, Uhlmann habe im Schlussgang Hunsperger gebodigt. ‹Schteu dä Seich ab›, war Rüedus spontane Reaktion.» Genervt reagierte Hunsperger auch, als Uhlmann ihn Jahre später aus Meiringen anrief. Hunsperger brach das Gespräch abrupt ab, als ihm Uhlmann mitteilte, dass die Delle, wo er zu Boden ging, immer noch sichtbar sei und an dieser Stelle jetzt ein Erinnerungs-Granitstein aufgestellt werde. Ein Jahr später, als Uhlmann am Emmentalischen ein Gestellter zum Sieg genügte, warf ihm Hunsperger beim folgenden Bier vor, er hätte bei den Unterbrüchen stets die Ärmel heraufgekrempelt, um Zeit zu schinden. Merke: Uhlmann war Turnerschwinger im kurzärmligen weissen Leibchen.

Der Trick mit den Forellen
Oft traf man Hunsperger und Uhlmann zusammen beim Fischen, noch häufiger allerdings am Jasstisch. Zwei Geschichten dazu werden auch heute noch an Stammtischen erzählt, wenn sich ältere Semester ein Gläschen genehmigen. Fritz Uhlmann: «Wir fuhren oft mit der ersten Bahn am Morgen aufs Stockhorn zum Fischen. Weil wir dann aber den ganzen Tag in der Beiz jassten, kauften wir auf der Rückfahrt in der Fischzucht in Rubigen ein paar Forellen, um den Frauen unsere Fangkünste zu beweisen. Dies ging so lange gut, bis meine Frau mich einmal darauf aufmerksam machte, dass die Fische erstaunlicherweise immer alle das genau gleiche Mass hätten…» Bekannt ist noch eine weitere Jass-Geschichte, welche der Schreibende selbst miterlebt hat. «Hättest du so geschwungen wie gejasst, wärst du nicht dreifacher König geworden», sagte Uhlmann zu Hunsperger, nachdem ihm dieser einmal die falsche Farbe gebracht hatte.» Solche und ähnliche Geschichte über das Leben Rüedu Hunspergers, liessen sich noch hunderte erzählen. Schade deshalb, dass er vor sechs Jahren die Zusage für das Verfassen eines Buchs über sein Leben rückgängig machte. «Diese Geschichten nehme ich später einmal mit ins Grab», meinte er zu mir. Und so wurde – leider – nichts aus der Biografie «König Rüedu».

Pierre Benoit

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