Geht das Breitenrain-Märchen weiter? Am Samstag startet die 1. Liga Promotion, die dritthöchste Schweizer FussballLiga, zur Rückrunde. Der Berner Quartierklub hat auf den ersten Rivalen Bellinzona satte zehn Punkte Vorsprung.
«Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?», fragte eine böse Königin im Märchen «Schneewittchen» der Gebrüder Grimm vor rund 200 Jahren. Heute, im Jahr 2022, ist die Frage nach dem bisher erfolgreichsten Klub in den vier obersten Ligen der Schweiz schnell beantwortet. Es ist ein Märchen, das nicht Jacob und Wilhelm Grimm, sondern Trainer Martin Lengen und seine Spieler geschrieben haben. Von insgesamt 78 Swiss-FootballLeague- und 1.-Liga-Teams blieb nur eines bisher ungeschlagen: der FC Breitenrain. Der FC Zürich, Leader der Swiss League, steht mit zwei Niederlagen zu Buche, der FC Aarau, Erster in der Challenge League, hat fünf Mal verloren – und die drei Leader der 1. Liga Classic, Bulle, Wohlen und Baden, stehen bei einer respektive zwei und drei Niederlagen. Bleibt der Klub vom «Spitz», der FC Breitenrain, Leader der 1. Liga Promotion – 18 Spiele, 14 Siege, 4 Unentschieden. Niederlagen: Fehlanzeige. Dass dem so ist, hätte vor Beginn der Meisterschaft kein Mensch erwartet, auch nicht die Trainer, Spieler, der Vorstand oder die eingefleischten Fans des Quartierklubs, dessen Vorgängervereine Minerva und Zähringia sich vor der Fusion im Niemandsland zwischen 3. und 4. Liga bewegten. Minerva gehörte zwar in den Sechzigerjahren bereits mehrere Jahre der 1. Liga an und sorgte auch im Cup für Schlagzeilen, doch was Breitenrain jetzt leistet, ist doch ein Novum und der absolute Höhepunkt in der Vereinsgeschichte der 1910 (Zähringia) respektive 1914 (Minerva) gegründeten Klubs.
Das Geheimrezept des FCB
Was sagt Captain Marco Hurter, der 28-jährige Linksverteidiger, zu den Gründen für den FCB-Höhenflug? «Der Kern der Mannschaft spielt seit vielen Jahren zusammen, das hat automatisch zu einer Konstanz geführt. Wir kennen uns, sind auch neben dem Platz gute Freunde, haben keinen Star, sondern sind eine Einheit, in der jeder für den anderen kämpft. Nicht unterschätzen darf man die Wichtigkeit des Trainers. Martin Lengen macht einen hervorragenden Job und hat grossen Anteil am Erfolg in der Vorrunde.» Spricht man den Captain auf die Zukunft, den möglichen Aufstieg in die Challenge League an, antwortet er wie ein Routinier, der jeden Tag den Medien Auskunft gibt. Er lässt sich nicht in die Karten schauen. «Wir wollen an die Leistungen in der Vorrunde anknüpfen und Spiel für Spiel seriös angehen. Vom Aufstieg reden wir bewusst nicht.» Und wenn Breitenrain am Schluss immer noch zuoberst steht? «Da würde ich selbstverständlich nicht Nein sagen. Doch wir wissen, dass wir die Gejagten sind und jeder Gegner gegen uns besonders motiviert sein wird», warnt der FCB-Verteidiger vor allzu grosser Euphorie.
Ein Hauch YB
Wie die meisten im Kader des ExYB-Spielers und U21-Internationalen Martin Lengen hat auch Marco Hurter eine YB-Vergangenheit. Bis zur U21 spielte er bei den Gelb-Schwarzen, seit neun Jahren trägt er die Farben des FC Breitenrain. «Man sieht, dass das Gros des Teams bei YB ausgebildet worden ist. Die gleichen Trainer, das gleiche System, das zahlt sich aus. Die Automatismen stimmen, die Spieler verstehen sich blind und wir stehen auch deshalb ungeschlagen an der Tabellenspitze.» Zehn Punkte beträgt Breitenrains Vorsprung – da darf ohne Chauvinismus festgestellt werden, dass die Tür zur Challenge League mehr als nur einen Spalt offensteht.
Pierre Benoit