Es ist nicht ganz einfach, mit Esther Staubli einen Interview Termin zu fixieren. Die Berner Schiedsrichterin ist viel unterwegs und kein Fan von Medienauftritten. Lieber spricht sie mit Taten auf dem grünen Rasen als mit Worten in der Zeitung.
Das zeigt sich auch beim Fototermin. Die Fifa-Schiedsrichtern weigert sich strikte, neben dem Logo der Super League zu posieren, weil sie bisher noch kein Spiel der obersten Spielklasse arbitrieren durfte. Schade, denn schon bald dürfte dieses Bild aktuell werden. Solche Prognosen und Vermutungen des Schreibenden weist Esther Staubli weit von sich. «Ich verwende meine Energie auf dem Platz, alles andere kann ich nicht selbst bestimmen», sagt die Frau, die nichts fordert und als Schiedsrichterin unbeirrt ihren Weg geht.
Lange Erfolgsliste
Die Liste der wichtigsten Karriereschritte auf Esther Staublis Weg ist lang, deshalb müssen wir uns auf die einschneidendsten beschränken. Fifa-Schiedsrichterin seit 2006, Final der Uefa-Frauen Champions League zwischen FFC Frankfurt und Paris St. Germain im Jahr 2015, U17-Fifa-WM 2010, U20-Fifa-WM 2012/14/18, Uefa-Euro 2013 mit der Leitung des legendären Halbfinals Schweden-Deutschland, Fifa-WM 2015/19, Olympische Spiele 2016, Uefa-Euro 2017 mit dem Final Holland – Dänemark und die Leitung eines Männer-Spiels an der U17- Fifa-WM. Als Agronomin unterrichtet die 40-jährige in einem Teilzeitpensum an der landwirtschaftlichen Schule Inforama in Zollikofen, sonst widmet sie die ganze Zeit der Schiedsrichterei. Seit 2014 arbitriert Esther Staubli Spiele in der Challenge League, in der Super League kam sie bisher «nur» als vierte Offizielle zu Einsätzen. Die Leitung eines Super-League-Spiels bezeichnet die 40-Jährige nicht als vordringliches Ziel. «Man hat nie eine Garantie, was passieren wird.» Deshalb lässt sie alles auf sich zukommen, ohne grosse Gedanken daran zu verschwenden. «Mein derzeitiges Ziel ist die Euro 2021 in England, im Mutterland des Fussballs, da wäre ich schon gerne dabei.» Wer weiss, dass sie auf die Ferien verzichtete, die sie vor drei Jahren aus Anlass des 70. Geburtstags ihrer Mutter in Sizilien bereits gebucht hatte, weil ihr aus dem Fifa-Haus ein Aufgebot für die Männer U17-WM ins Haus flatterte, fühlt, dass die Schiedsrichterei bei ihr absolute Priorität geniesst.
Das einmalige Erlebnis
Wer bei Esther Staubli die Motivation für die vielen Entbehrungen, welche das Schiedsrichterwesen mit sich bringt, ergründen will, erhält sofort eine Antwort. «Spiele zu leiten ist ein einmaliges Erlebnis, Lohn für den grossen Aufwand und das harte Training, doch noch will ich nicht zurückschauen, es geht immer weiter. Wie viel ich schon erlebt habe, realisierte ich erst kürzlich, als ich in einem Schreiben meine wichtigsten Spiele auflisten musste.» 20 Stunden wöchentliches Training, Spinning, Jogging, dazu Krafttraining und die Anreise und Leitung der Spiele, an denen Esther Staubli zwei Stunden vor Beginn im Stadion eintrifft. Klar, dass bei diesem riesigen Engagement viel Freude mit im Spiel sein muss, denn reich werden kann mit der Schiedsrichterei niemand.
«Ich rede nicht allzu viel»
Im Gespräch mit Esther Staubli drängt sich selbstverständlich auch die Frage nach dem Verhältnis Frau/ Mann während der Spiele auf. «Da gibt es keine Probleme, der Respekt ist gegenseitig und das Miteinander angenehm. Ich rede auch nicht allzu viel, weil ich weiss, dass die Spieler es schätzen, wenn man sich gegenseitig in Ruhe lässt.»
Erster Match – und gleich Rot!
Seit zwanzig Jahren pfeift die ehemalige Nationalliga-A-Spielerin von Rotweiss Thun Spiele, ihren ersten Match der Junioren C hat sie nie vergessen, weil sie nach einer Notbremse schon die erste rote Karte zücken musste. «Ich fühlte, dass ich es als Spielerin nicht ins Nationalteam bringen würde, deshalb suchte ich eine neue Herausforderung, besuchte einen Anfängerkurs, begann zu pfeifen und war sogleich begeistert, denn Fussball ist und bleibt meine Leidenschaft.» Vieles hat sich in der Zwischenzeit auch beim Leiten von Fussballspielen verändert, beispielsweise die Einführung des VAR (Video Assistant Referee). Auch Esther Staubli wurde zum VAR ausgebildet und kommt zwischendurch in dieser Funktion zum Einsatz. «Ich denke, der VAR ist ein gutes Hilfsmittel, wenn er richtig eingesetzt wird und er sensibel mit seinem Amt umgeht. Ist der Schiedsrichter bei seinem Entscheid gut positioniert, bringt es nichts, nach der 20. Wiederholung einzugreifen.»
Pierre Benoit