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«Ich bin in der Ukraine auf halbem Weg steckengeblieben»

2018 wurde Thomas Grimm Präsident der obersten Spielklasse im ukrainischen Fussball. Der Berner ist damit nicht nur der erste Funktionär, der in zwei verschiedenen Ländern zum Liga-Präsidenten avancierte – er trat in einem kriegsgeschüttelten Land auch ein schwieriges, wenn nicht unlösbares Amt an.

Am 6. April zog Thomas Grimm, der ehemalige YB- und Swiss FootballLeague-Präsident, einen Schlussstrich unter das Ukraine-Abenteuer. Er trat nicht zur Wiederwahl als Präsident der ukrainischen Premier League an. Grimm kam vor zwei Jahren nicht wie die Jungfrau zum Kind zu seinem abenteuerlichen Engagement. Nein, er war juristischer Berater des Verbands anlässlich der Euro 2016 in Frankreich und kannte von seinen früheren Ämtern bei der Uefa und der Fifa seit Jahren die Vertreter in der Verbandsspitze, besonders den neuen Verbandspräsidenten Andrey Pavelko. Und was besonders wichtig war: Er war mit keinem der rivalisierenden Spitzenklubs Dynamo Kiew und Schachtar Donezk verbunden. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil in einem Land, in dem Fussball und Politik nicht (immer) zu trennen sind.

Der Streit um TV-Verträge
Um die finanzielle Lage der krisengeschüttelten Vereine zu verbessern, versuchte Thomas Grimm, der als ehemaliger Mitarbeiter des Sportvermarkters CWL, heute Infront Sports & Media, diese Materie bestens kennt, die TV-Rechte zentral zu vermarkten. Nachdem endlich nach langen und schwierigen Gesprächen eine Lösung mit einer Mediengruppe gefunden worden war, wurde diese durch fünf Klubs, welche einer rivalisierenden Mediengruppe nahestehen, torpediert. «Jegliche Versuche, einen Kompromiss zu finden, schlugen fehl», sagt Grimm leicht resigniert. Doch nicht allein die fehlenden TV-Gelder bereiteten dem Berner, der durchschnittlich jeden Monat bis zu acht Tage in der Ukraine verbrachte, Kopfzerbrechen. Der Konflikt im Donbass ist im Fussball allgegenwärtig, nach Donezk konnte der ehemalige YB-Präsident nie reisen, weil die Gefahr, in Kriegswirren zu geraten, zu gross war. Grimm: «Schachtar Donezk beispielsweise trainiert in Kiew und trägt seine Heimspiele in Charkiw aus – statt bis zu 40000 verlieren sich im Schnitt 8000 Zuschauer im Stadion.»

302 Kilometer ans Heimspiel
Charkiw liegt gemäss Routenplaner 302,1 km und sechs Autostunden von Donezk entfernt. Wer fährt da hin, um sein Team live spielen zu sehen und zu unterstützen? Man stelle sich vor, Servette trage seine Heimspiele in Lugano aus. Das sind zwar rund 100 Kilometer mehr, doch dank Autobahnen beträgt die Reisezeit zwei Stunden weniger. Andere ehemalige Spitzenklubs wie Dnipro, das vor fünf Jahren noch im Europa-League-Endspiel stand, oder Metalist Charkiw sind ganz von der Fussball-Landkarte verschwunden. Statt 16 gehören nur noch zwölf Vereine der Premjer-Liha an, der Zuschauerdurchschnitt ist innert kurzer Zeit von 12000 auf knapp 3000 gesunken. Grimm ist überzeugt, dass sich diese Entwicklung auch im UefaKlubranking schon bald negativ auswirken wird. «Derzeit steht die Ukraine dank der Resultate von Schachtar und Dynamo in den vergangenen Jahren noch auf Rang 10, doch das wird sich bald ändern. Ein Abstieg analog der Schweiz ist absehbar , sollten die Klubs nicht gewisse Reformen einleiten.»

Welcome to the Urkaine
Was bleibt nach zwei Jahren Amtszeit für Thomas Grimm in der Rückblende vom Abenteuer in der Ukraine übrig? «Sicher keine grosse Enttäuschung, da ich ja wusste, worauf ich mich eingelassen habe, aber doch eine gewisse Ernüchterung. Ich bin in der Ukraine auf halbem Weg steckengeblieben ohne realistische Möglichkeit, die gesteckten Ziele noch zu erreichen. ‹Welcome to the Ukraine› war die meistgehörte Antwort, wenn ich wieder einmal nicht verstanden habe, warum etwas so und nicht so geht. Was bleibt, ist die Erfahrung, eine neue Kultur und tolles Land mit viel Potenzial und Kreativität, nicht allein im Fussball, kennengelernt zu haben, in welches ich jederzeit gerne zurückkehren werde. Ich habe interessante und herzliche Menschen getroffen und durfte mit qualifizierten und motivierten Mitarbeitern zusammenarbeiten. Das Abenteuer in der Ukraine war wert, es zu erleben.» Am 6. April ging dieses Abenteuer für Thomas Grimm mit der guten Hoffnung zu Ende, dass ein paar seiner Ideen in naher Zukunft doch noch umgesetzt werden, zum Wohle des Fussballs in der Ukraine. Regelmässige Reisen quer durch die Ukraine gehören der Vergangenheit an. Thomas Grimm bleibt die Hoffnung, mit einer Erfahrung reicher eine neue Herausforderung bei einem Klub, einer Liga oder einem Verband anzunehmen.

Pierre Benoit

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