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«Klar ist es mein Ziel, erster Goalie zu werden»

Kiener, Jäggi, Grubauer, Tosio, Bührer, Genoni – der SCB konnte sich immer auf starke Goalies verlassen. Nun darf man sich Hoffnungen machen, dass das Eigengewächs Philip Wüthrich (22) der Nächste sein könnte.

So enttäuschend die Qualifikation 2019/20 für den SCB endete – neu war die Erfahrung nicht. Bereits vor sechs Jahren hatte er als Meister die Playoffs verpasst. Wie damals waren Kritik und Verunsicherung massiv, die offensiven Ladehemmungen gross und die Trainerentlassung wirkungslos. Hinzu kam etwas, das man sich beim SCB nicht gewöhnt ist: ein Goalie-Problem. Die im Vorfeld weit verbreiteten Bedenken, dass die beiden bisherigen Backup-Goalies Niklas Schlegel und Pascal Caminada den Abgang von Leonardo Genoni nicht kompensieren könnten, hatten sich bewahrheitet und die Abwärtsspirale des schlechten Starts verstärkt. Erst die Ankunft des Finnen Tomi Karhunen vermochte die Situation wieder zu stabilisieren. René Kiener (1955-1973), Jürg Jäggi (1973-1980), Edgar Grubauer (1980-1987), Renato Tosio (1987-2001), Marco Bührer (2001-2016), Leonardo Genoni (2016-2019): Ein Blick in die Chronik drängt den Schluss auf, dass die Gewissheit, einen starken Goalie im Rücken zu haben, für einen SCB-Feldspieler Gewohnheitsrecht ist. Damit es so bleibt und die abgelaufene Qualifikation zur Ausnahme wird, die die Regel bestätigt, haben sich die Verantwortlichen entschlossen, den zuverlässigen Karhunen für eine weitere Spielzeit an sich zu binden und einen vielversprechenden Kandidaten für die Zukunft nachzuziehen: das Eigengewächs Philip Wüthrich, das zuletzt zwei Saisons an den Swiss-League-Klub Langenthal ausgeliehen war und das grösste SCB-Goalie-Talent seit Thomas Bäumle sein dürfte. Eine Konstellation, die beim Anhang Hoffnungen weckt.

Die Lage richtig eingeschätzt
Zugegeben, den jungen Wüthrich bereits jetzt mit der hohen Erwartungshaltung zu belasten, ein neuer Tosio zu werden, wäre übers Ziel geschossen. Dennoch spricht seine Reaktion auf die Andeutung für ihn. «Den grössten Druck mache ich mir selbst», sagt er mit ruhiger und unaufgeregter Stimme. Und: «Klar ist es mein Ziel, erster Goalie zu werden. Doch vorderhand geht es darum, Erfahrungen zu sammeln und ich an das Niveau zu gewöhnen.» Der 22-Jährige spricht aus Erfahrung. Vor zwei Jahren hatte er in seiner ersten Kampagne als Leihspieler beim SC Langenthal früh und unverhofft die Chance bekommen, für den verletzten Marco Mathis einzuspringen. Aus ein paar Spielen wurde eine Serie und zum Schluss eine ganze Saison samt Playoffs. Eine Saison, in der sich Wüthrich nach Anlaufzeit zum besten Goalie der Swiss League steigerte und sein Team zum Titel führte. An «eine unvergessliche Zeit» erinnert sich Wüthrich. «Das Selbstvertrauen wuchs und wuchs. Je weiter wir kamen, desto befreiter spielten wir.» Ähnliches hatte er in der zweiten Spielzeit erlebt, der Saison der Bestätigung: Mit einem verjüngten Team und einem neuen Trainer hatten die Langenthaler die Playoffs auf dem 7. Rang erreicht, worauf sie in den Viertelfinals gleich das favorisierte Olten stürzten, ehe die Meisterschaft wegen der Corona-Krise abrupt beendet wurde.

Zwischen den Welten
Nun kehrt Philip Wüthrich zu seinem Stammklub zurück. Ein «komisches Gefühl» sei das, gibt er zu. Weder ist der letzte Teil abgeschlossen, noch hat der neue begonnen. Doch aus der Ruhe ist er nicht zu bringen. Und falls doch, lässt er sich das nicht anmerken. Es passt, dass Peter Mettler, zwischen 2016 und 2019 Goalietrainer bei Swiss Ice Hockey, sagt: «Neben dem könnte eine Bombe explodieren, der würde es nicht merken.» Wüthrich selbst zählt diese Charaktereigenschaft zu seinen Stärken. Sie hilft ihm nicht nur in den Bewegungsabläufen und der Ausstrahlung, sondern auch, sich auf das Wesentliche zu besinnen und ihn vor übertriebener Nervosität zu bewahren. «Ein kräftiger, beweglicher, explosiver Athlet, der weiss, wie man gewinnt», beschreibt Mettler den Berner. Letzteres dürfte für den Posten, den er nun beim SCB anvisiert, kein unerheblicher Punkt sein. Noch besser ist gar, dass er das in der Nachwuchsabteilung und unter Aufsicht der SCB-Verantwortlichen gelernt hat. Mit Spielern wie Nico Hischier, André Heim, Yanik Burren oder Colin Gerber hat er zwei U17- und einen U20-Meistertitel gewonnen, an einer U18- und zwei U20-Weltmeisterschaften hat er darüber hinaus sein Können auf internationalem Niveau unter Beweis gestellt. «Mitte der 2000er-Jahre habe ich mit den Bambini auf dem Weyermannshaus mit Marco Bührer trainieren dürfen», erinnert er sich an die erste Begegnung mit seinem Vorbild. Da sei ihm klar geworden: «Ich will nicht so spielen wie er, ich will seinen Job.» Diesem Ziel ist er zum Greifen nah. Doch dadurch wird sich Philip Wüthrich nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Matthias Müller
SLAPSHOT

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