In 17 Tagen steigen die «Bösen» am Eidgenössischen Schwingfest in Pratteln in die Zwilchhosen. Einer der 59 Berner, die das mit Abstand stärkste Team stellen, ist der 23-jährige Michael Wiget.
In den letzten Jahren wurde das Aushängeschild des Schwingklubs Laupen immer wieder durch Verletzungen zurückgeworfen. Da erstaunt es schon, dass Wiget von den Fachleuten in einem Atemzug mit den aussichtsreichsten Königsanwärtern genannt wird. Doch wer immer sich bei älteren und jüngeren Schwingern umhört, erfährt über Michael Wiget nur Superlative. Die stupende Technik, die Einstellung, der Charakter – das alles beeindruckt die Kenner der Traditionssportart.
Dass Wiget von allen Kennern der Materie so beurteilt wird, hat mehrere Gründe. Da ist einmal der Wille des Athleten, sich auch nach Verletzungen immer wieder zurückzukämpfen. Dann sein unbändiger Ehrgeiz, sein Fleiss, die Gabe, alles andere im Leben dem Schwingsport unterzuordnen und seine seriöse Einstellung.
Und nicht vergessen darf man das vielleicht wichtigste Mosaiksteinchen im Erfolgs-Puzzle des Modellathleten: Er ist mit sehr viel Talent ausgestattet – wohl einer der technisch stärksten Schwinger des Landes, dessen Spezialität der «Kurz» ist. Wie vor Jahren beim sechsfachen Eidgenossen und Schlussgang-Teilnehmer Fritz Uhlmann oder beim dreifachen Eidgenossen Matthias Siegenthaler.
Der Bruder, der Konkurrent?
Genauso wie Michael Wiget im Gespräch mit seiner Ruhe und Intelligenz beeindruckt, verhält er sich auch im Sägemehl vor entscheidenden Begegnungen. «Ich will immer die bestmögliche Leistung erbringen, weiss, was ich will und bin bereit, dafür sehr viel zu investieren», sagt der Laupener, der sich ebenso auf die kommenden – hoffentlich verletzungsfreien – Jahre freut. «Unspunnen, Jubiläums-Schwingfest 125 Jahre Eidgenössischer Schwingerbverband in Appenzell, Eidgenössisches 2025 in Glarus, Kilchberg, EXPO-Schwingfest und 2028 das nächste Eidgenössische wohl in Thun. Die Höhepunkte folgen Schlag auf Schlag und ich will vorne mitmischen.»
Nach seiner langen Leidensgeschichte mit zahlreichen schweren Verletzungen wäre es Wiget zu gönnen, könnte er einmal ein paar Jahre ohne Sorgen durchschwingen. «In Pratteln habe ich nichts zu verlieren, ich kann nur geniessen, denn ich habe eine ganze Saison verpasst und steige ohne Kampferfahrung ins Sägemehl», so Wiget, dessen sechs Jahre jüngerer Bruder Adrian schon bald ein harter Konkurrent werden könnte. Doch die fehlende Kampfpraxis wird eventuell gar zu einem Vorteil. Er ist hungrig, brennt darauf, sein Können zu beweisen und den zweiten eidgenössischen Kranz zu gewinnen.
Um in Pratteln zu reüssieren, hat er in den letzten Monaten nach dem Unfall im September 2021 im Schwarzsee, als er sich im Oberschenkel mehrere Muskeln und Sehnen riss, einiges auf sich genommen. Er hat in der Trainingsgruppe von Fitness-Guru Michel Olivari zusammen mit Kilian Wenger, Matthias Aeschbacher, Ruedi Roschi, Bernhard Kämpf und Curdin Orlik an der Fitness gefeilt und auch mit seinen Schwarzenburger Kollegen Fabian Staudenmann und Michael Ledermann oft und fleissig zusammen gegriffen.
Drei Schwingtrainings, zwei Krafttrainings und einmal Ausdauer stehen normalerweise auf dem Wochenprogramm der Berner Hoffnung. Das Jus-Studium kommt derzeit erst an zweiter Stelle, Priorität geniesst ganz klar das Schwingen. In der vergangenen Woche weilte Wiget auf der Kleinen Scheidegg, wo er mit den Oberländern im Trainingslager übte und zahlreiche Gänge mit den 30 Schwingern absolvieren konnte. «Ich denke, das ist auch mit ein Grund, dass ich voller Zuversicht nach Pratteln reise. Diese Kämpfe haben mir mehr gebracht, als wenn ich an irgendeinem regionalen Anlass nur ein paar Gänge hätte bestreiten können.»
Favorit ist Giger, aber …
Topfavorit ist in Pratteln für einmal kein Berner, sondern der in letzter Zeit alles überragende Samuel Giger. Doch aufgepasst: Viele Berner sind fähig, mit dem Nordostschweizer zu stellen und warum nicht auch ihn aufs Kreuz zu legen – das hat das Brünig-Schwinget gezeigt.
König und Titelverteidiger Christian Stucki, König Kilian Wenger, Matthias Aeschbacher, Remo Käser, Michael Ledermann, Florian Gnägi, Fabian Staudenmann, Kilian von Weissenfluh, Thomas Sempach, Severin Schwander, Adrian Walther, Simon Anderegg – sie alle sind bereit, Giger zu ärgern. Und warum, so meinen die Schwing-Insider, sollte dies Michael Wiget, der trotz seiner Jugend schon viel mehr als «nur» ein Talent ist, nicht auch gelingen?
Michael Wiget jedenfalls verbindet nur gute Erinnerungen an seinen ersten Auftritt an einem Eidgenössischen. In Zug holte er sich vor drei Jahren als gerade mal 19-jähriges Talent den Kranz und bodigte gleich im Anschwingen mit Manuel Kuster einen Eidgenossen und erhielt für seinen Plattwurf eine 10 gutgeschrieben. Ein Auftakt, der dem Laupener für die beiden Tage sehr viel Selbstvertrauen verlieh.
Pierre Benoit