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Nicolas Bürgy: Auf bestem Weg, seinen Traum zu verwirklichen

In der Challenge League war er beim FC Aarau der unbestrittene Chef, in der Super League muss er sich bei YB wieder neu beweisen. Dennoch ist Innenverteidiger Nicolas Bürgy seinem Kindheitstraum so nahe wie noch nie.

Es ist anders an diesem Tag. Auf der YB-Geschäftsstelle ist es um die Mittagszeit normalweise ruhig, doch diesmal herrscht emsiges Treiben. Verletzte Spieler, Junioren-Trainer und Mitarbeiter geben sich die Klinke in die Hand. Üblicherweise gilt es, bei 1:1-Interviews um diese Zeit ein paar Minuten Verspätung einzukalkulieren: Körperpflege, Rücksprache mit den Trainern oder dem Staff. Doch jetzt betritt Nicolas Bürgy den Raum vor der abgemachten Zeit. «Ich habe früher trainiert, weil ich mit der U21 spiele. Das will der Trainer so. Die Jungen sollen möglichst viel Spielpraxis erhalten», erklärt er. Die Jungen? Speziell. So jung ist Nicolas Bürgy nicht mehr. 24 ist er im August geworden. Wirft man einen Blick auf sein Karriereblatt, sieht man keinen Neuling, sondern einen gestandenen Profi-Fussballer, gestählt durch 53 Challenge- sowie mehr als 40 Super-League-Partien. Doch in Bern, bei seinem Stammklub, ist er das immer noch – zumindest in dieser Saison. 2015 hatte er als 20-Jähriger bei YB seinen ersten Profi-Vertrag unterschrieben und ihn 2018 noch einmal um zwei Jahre verlängert. Während vier Spielzeiten erhielt er nur zwei Teileinsätze, stattdessen wurde er dreimal ausgeliehen. In diesem Sommer hat man ihn für sein letztes Vertragsjahr zurückgeholt. Weil der Klub und der Spieler daran glauben, dass das jetzt noch etwas wird zwischen den
beiden Parteien.

Nun erlebt er «es»
«If you can see it in your mind, you can hold it in your hand», laute sein Motto, erklärt Nicolas Bürgy. Zu Deutsch: «Was du dir vorstellen kannst, kannst du auch erreichen» – und bringt es in seinem Fall auf den Punkt. Es gab in den letzten Jahren Momente, an denen er sich daran festhalten konnte. Dieser Tage wird seine Vorstellungskraft entlastet, weil er «es» Tag für Tag mit eigenen Augen sieht und «es» sogar immer wieder selbst erlebt. In der neuen Saison ist er mehrfach in der Startaufstellung gestanden, hat sein erstes Tor erzielt. in der Hierarchie bewegt er sich unter den Innenverteidigern in den Top 4. Er, der als Junior davon geträumt hatte, hier zu spielen, sagt: «Das ist meine Chance.» Für diese Chance hat Nicolas Bürgy einen Schritt zurückgemacht. Er sieht sich in Bern mit einer doppelten Herausforderung konfrontiert: Einerseits befindet er sich erstmals in einer richtigen Konkurrenzsituation. Andererseits ist er nicht mehr Abwehrchef. Noch in der Saison zuvor war er Patron in der Hintermannschaft des FC Aarau. «Es ist neu, aber reizvoll. Hier gibt es Möglichkeiten, besser zu werden und sich weiterzuentwickeln. Täglich auf diesem Niveau und unter solch professionellen Bedingungen zu trainieren, bringt dich weiter. Muss man in einem Grossklub um jeden Einsatz kämpfen und sich durchsetzen, zwingt einen das noch ein Stück weiter aus der Komfortzone.»

Das Mindset des Leihspielers
Dieser jugendliche Hunger ist für einen Spieler mit dem Renommee Nicolas Bürgys bemerkenswert. Er lässt sich aber gut erklären. Seit er 2015 erstmals ausgeliehen wurde, weiss er, wie es ist, auf sich allein gestellt zu sein und unter Erwartungsdruck zu stehen. «Als Leihspieler wird deine Leistung von Anfang an gebraucht», erklärt er. Das verlangt nicht nur Durchsetzungsvermögen, sondern auch Selbstverantwortung. Tugenden, die er bei seinen Leihstationen unter Beweis stellen konnte. In Wohlen in der Challenge League und ab Winter 2017 beim FC Thun in der Super League biss er sich fest, an beiden Orten war er Stammspieler und Leader. Als ihn im März 2018 eine kompliziertere Verletzung am autonomen Nervensystem ausser Gefecht setzte und die Thuner im Sommer die Leihe nicht verlängerten, behielt er die Ruhe und kurierte seine Verletzung komplett aus, ehe er sich erst einen Tag vor dem Ende des Transferfensters für eine weitere Ausleihe in die Challenge League zum FC Aarau entschied. Während dieser Wechsel beim einen oder anderen Aussenstehenden für Stirnrunzeln sorgte, wusste Bürgy, worauf er sich eingelassen hatte. Die Mannschaft war als Aufstiegskandidat desolat in die Meisterschaft gestartet, die sportliche Führung wackelte bereits. Doch als er zum Team stiess, drehte der Wind. «In Aarau hatten sie ein interessantes Projekt. Ich hatte der Mannschaft zugeschaut und sah, wie sie Spiele verlor, die sie nach allen Gesetzen der Vernunft gar nicht hätten verlieren können.»

Das starke Jahr in Aarau
Tatsächlich sollte sich der vermeintliche Rückschritt als richtige Entscheidung herausstellen. Auch bei den Aarauern nahm er die Position als Abwehrchef ein, seine Präsenz auf dem Platz war beeindruckend. «Ich war unbelastet und wollte dieses Gefühl ins Team tragen», sagt er. Wie wichtig Bürgy war, unterstreicht der Umstand, dass er von einer Fachjury aus dem Klubumfeld zum Spieler des Jahres gewählt wurde.

Matthias Müller/FOOT

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