Sie ist 24 Jahre alt, Schweizermeisterin im Radquer und voller Tatendrang. Gestillt ist der Erfolgshunger der jungen Bernerin noch lange nicht. In grossen Rennen will sie vorne dabei sein und Titel gewinnen. Warum nicht Weltmeisterin?
«Warum nicht, träumen ist erlaubt», sagt sie mit einem Glänzen in den Augen und einem Lächeln.
Zina Barhoumi, die 24-jährige Schweizer Hoffnung im Radquer, kommt nicht mit dem Rad, sondern zu Fuss zu unserem Treffpunkt. «Normalerweise benütze ich schon das Velo oder für weitere Strecken das Auto, doch ich wohne so nahe, dass ich zu Fuss unterwegs bin», beantwortet sie die entsprechende Frage beinahe entschuldigend.
In den Siebziger- und Achtzigerjahren sass Familie Schweizer am Sonntagnachmittag vor dem Fernseher und führte sich nach dem Lauberhornoder dem Hahnenkamm- ein spannendes Radquerrennen zu Gemüte.
Doch plötzlich war Mountainbike Trumpf und Radquer (fast) nur noch eine schöne Erinnerung. Die Zeiten, als Schweizer Querhelden wie Albert Zweifel (fünffacher Weltmeister zwischen 1976 und 86), Pascal Richard und Dieter Runkel WM-Gold in die Schweiz holten und die Schweizer Querfahrer international den Ton angaben, gehören längst der Vergangenheit an. Erst seit ein paar Jahren ist Radquer in der Schweiz wieder populär – auch dank Christian Rocha, dem Mann, der die EKZ-Crosstour ins Leben gerufen hat. Einige Tausend verfolgten vor zwei Jahren das Weltcuprennen rund ums Weyerli im Westen von Bern – weitere Rennen werden folgen.
Es darf ruhig schlammig sein
Zum Radsport kam Zina Barhoumi durch ihren Bruder, der Strassenrennen fuhr, und eine Schulkollegin, deren Eltern begeisterte QuerRadsport-Fans sind. Doch richtig los ging es erst vor vier Jahren: «Ich begann ernsthaft zu trainieren, Rennen zu fahren und bin froh, dass ich mich für diese Sportart entschieden habe. Radquer ist so vielseitig und abwechslungsreich, erfordert Kraft, Technik, Ausdauer, Explosivität und die richtige Taktik – jede Strecke ist anders», sagt Zina Barhoumi.
Für den Zuschauer spektakulär und für die Fahrerinnen nicht immer einfach sind die Wetterbedingungen. Zina Barhoumi liebt sowohl trockene als auch nasse Verhältnisse. «Man muss sich anpassen», sagt sie. «Die Bereifung ist anders, der Pneudruck auch.» Dass die furchterregenden Bilder von den dreckverschmutzten Köpfen der Fahrerinnen für diese selbst nicht so schlimm wie für Laien sind, bestätigt Zina Barhoumi. «Auch bei nassen Verhältnissen trage ich nur einen Helm und keine Brille, die Sicht ist kaum beeinträchtigt.» Stürze gehören im Quersport für die Aktiven zum Alltag, doch Zina Barhoumi war bisher ein Glückspilz. «Sieht man von einer Gehirnerschütterung ab, blieb ich von Verletzungen verschont.»
Eben von einer Reise mit verschiedenen Rennen in Holland und Belgien – den Quersport-Hochburgen – zurückgekehrt, beginnt für die Schweizermeisterin bereits wieder das Training, denn Ruhepausen gibt es während der Saison nicht. «Gegen 20 Stunden stehen wöchentlich auf dem Programm, meist auf dem Rad, aber auch Lauftraining ist fester Bestandteil.» Zwischendurch bestreitet Zina Barhoumi Bergläufe, auch damit sie bereit ist, wenn in einem Querrennen das Rad geschultert und der Aufstieg zu Fuss gemeistert werden muss.
Rennen, die anspruchsvoll sind, den Fahrerinnen alles abverlangen, mag die Bernerin. «Ich bevorzuge schnelle, technisch schwierige Kurse mit kleinen Aufstiegen – es darf ruhig ein wenig schlammig sein.» Versteht sich, denn nach Rennen muss sie ihr Rad nicht selbst putzen, diese Aufgabe übernehmen ihre Betreuer. Anders sieht es nach den Trainings aus, da muss Zina Barhoumi selbst Hand anlegen. «Das stört mich keineswegs, manchmal mache ich das sehr gerne.» Zwischen ihr und den verschiedenen Velos, die sie benutzt, scheint eine gute Beziehung zu herrschen…
Unter besonderer Beobachtung
Als Meisterin trägt Zina Barhoumi an Rennen das rote Trikot mit dem Schweizerkreuz. Das ist einerseits schön, weil sie bei den Zuschauern mehr Beachtung findet, führt aber auch dazu, dass die Gegnerinnen immer ein spezielles Auge auf sie richten. Radquer, dieser äusserst attraktive Sport, ist nach vielen Jahren der Bedeutungslosigkeit wieder in.
Zina Barhoumi wünscht sich, dass die erfreuliche Entwicklung des Radquer-Sports in den nächsten Jahren anhalten wird. «Die Leute wissen wieder, was Radquer ist und interessieren sich für uns. Die steigenden Zuschauerzahlen beweisen das. Auch die Zahl der Fahrerinnen hat in den letzten Jahren einen markanten Zuwachs erfahren», freut sie sich über die stärkere und zahlreichere Konkurrenz. Doch das hindert sie keineswegs daran, ihre sportlichen Ziele hoch zu stecken. Europameisterin oder Weltmeisterin? Warum nicht. «Träumen ist erlaubt», hat die Schweizermeisterin zu Beginn unseres Gesprächs gesagt. Wer weiss, vielleicht wird Radquer schon bald einmal olympisch.
Pierre Benoit