Der starke Anstieg der Fallzahlen in den letzten Tagen ist besorgniserregend und hat den Bundesrat veranlasst, mehrere schweizweit gültige Massnahmen zu ergreifen, um die weitere Ausbreitung des Covid-19-Virus zu verhindern.
Die neuen Vorschriften gelten seit gestern. So weit, so gut. Doch nun hat sich die Berner Regierung rund um ihren Gesundheitsdirektor Pierre-Alain Schnegg weit aus dem Fenster gelehnt und das vom Bundesrat erlassene Konzept in einem für die Berner Sportklubs inakzeptablen Ausmass erweitert. Betroffen von diesen Massnahmen sind die Sportvereine im Kanton Bern, die Young Boys und der FC Thun, der SC Bern, der EHC Biel, die SCL Tigers und der SC Langenthal.
Dass das Unverständnis für das existenzbedrohende Vorpreschen der Berner Regierung – äusserst zurückhaltend ausgedrückt – auf Unverständnis stösst, leuchtet nicht allein den sportinteressierten Bernerinnen und Bernern, sondern dem Grossteil der Bevölkerung ein. Die Berner Regierung steht im Verdacht, den Entscheid bereits am Freitag vor der entscheidenden Sitzung des Bundesrats gefällt zu haben, in der irrigen Annahme, dass dieser schweizweit ein Verbot für Sportanlässe mit über 1000 Besucherinnen und Besuchern erlasse. Als dies nicht der Fall war, gab der Kanton Bern in Eigenregie unmittelbar nach Bekanntwerden der Entscheide der Landesregierung die einschränkenden Massnahmen für den Kanton Bern bekannt.
Bauliche Massnahmenfür die Katze
Beim SC Bern wurden im Hinblick auf die laufende Saison bauliche Veränderungen vorgenommen, die das Unternehmen teuer zu stehen kamen. CEO Marc Lüthi: «Wir haben in die neue Infrastruktur gut eine halbe Million Franken investiert, in der An-nahme, dass wir mit den bekannten Einschränkungen die Saison durch-spielen können. Jetzt soll nach nur zwei Heimspielen wieder alles an ders sein – es macht den Anschein, als ob all diese Investitionen für die Katze gewesen sind.» Ähnlich tönt es auf der anderen Seite der Papiermühlestrasse, beim BSC Young Boys, der in der Zwischenzeit zusammen mit dem SCB dem Regierungsrat bereits einen gemeinsamen offenen Brief zukommen liess. «Viele unserer Mitarbeitenden haben tage- und nächtelang Schutzkonzepte erarbeitet, um den Anforderungen des Bundesamts für Gesundheit zu entsprechen. Auch bei uns waren nebst all den konzeptionellen Aufwand kostenaufwendige bauliche Veränderungen nötig», sagt Wanja Greuel, der YB-CEO.
«Enttäuscht und schockiert»
Die Young Boys spielen am Donnerstag in der Gruppen phase der Europa League gegen phase der Eu-ropa League gegen die AS Roma und am Sonntag in der Meisterschaft gegen den FC Luzern – beide Partien mit maximal 1000 Zuschauern, statt einem ausverkauften Haus gegen die Italiener und wohl 25000 gegen die Innerschweizer. Dies stösst bei YB genauso auf Unverständnis wie beim Nachbarn SCB, der heute auswärts und am Freitag in der PostFinance-Arena in den Kantonalderbys gegen den EHC Biel engagiert ist. Die Schutzkonzepte, wel-che die beiden Klubs mit unglaublich viel Aufwand erarbeitet haben, griffen in den ersten Heimspielen – beim SCB gegen Ambrì-Piotta und gegen den HC Lausanne, bei YB gegen den FC Vaduz – umso eigenartiger mutet deshalb jetzt das Vorprellen der Kantonsregierung an. Marc Lüthi: «Die Kantonspolizei hat uns bei beiden Heimspielen streng kontrolliert. Wir erhielten für unsere Arbeit Bestnoten, umso unver-ständlicher sind die jetzt getroffenen Massnahmen.»
Ähnlich wie sein Kollege beim SCB äussert sich YBs Wanja Greuel. «Auch wir wurden gegen den FC Vaduz kontrolliert und erhielten von der Kantonspolizei positive Rückmeldungen. Die Probleme, die sich beim Einlass ergaben, wurden korrigiert und wären am Donners-tag gegen die AS Roma umgesetzt worden.» Enttäuscht ist Greuel auch, weil er aus nächster Nähe gesehen hat, wie sich seine Mitarbeitenden mit Herz und Seele dafür eingesetzt haben, den Schaden in Grenzen zu halten und er feststellen konnte, dass sich die Fans sehr diszipliniert verhalten haben. «Alle Gäste wurden registriert, es gab keine Meldungen von positiven Fällen, das Vorpreschen der Kan-tonsregierung ist selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Gesundheit der Bevölkerung selbstverständlich zuoberst steht, nicht zu begreifen.» Marc Lüthi ist auch enttäuscht und erbost, dass die Regierung vor der Bekanntgabe des kantonalen Entscheids mit den betroffenen Klubs nicht das Gespräch gesucht hat.
Wird der Entscheid überdenkt?
«Es hat bisher funktioniert, die Leu-te sind sehr vernünftig, die Rück-meldungen durchwegs positiv. Wer Angst vor einer Ansteckung hat, bleibt zuhause, diejenigen, die den Weg in die PostFinance-Arena unter die Füsse nahmen, fühlen sich sicher und machen sich keine Sorgen. Wir hoffen auch deshalb sehr, dass der Kanton den Entscheid überdenkt und revidiert», sagt Marc Lüthi. Auch Wanja Greuel lobt die YB-Fans für ihre Disziplin. «Ich kann nicht verstehen, dass man uns gegenüber von einem Ampelsystem mit den Farben gelb, orange und rot sprach, jetzt aber die Ampel von gelb gleich auf rot gestellt hat.»
Sowohl bei YB als auch beim SCB herrscht der Verdacht, dass das contact-tracing in Bern nicht oder nur schlecht funktioniert und deshalb infizierte Personen nicht frühzeitig entdeckt werden.
Die finanziellen Einbussen
Beträchtlich sind für die beiden Berner Grossunternehmen die finanziellen Einbussen. «Wir wissen nicht, ob es uns gelingt, unter diesen Umständen die Saison fertig zu spielen. Wir können es uns schlicht und ein-fach nicht leisten, ohne Zuschauer zu spielen, die Existenz des SCB ist in Gefahr», sagt Marc Lüthi.
Aufgrund der sportlich erfolg-reichen, lukrativen letzten Jahre ist die Situation bei den Young Boys we-niger dramatisch, aber auch nicht zu unterschätzen. Mit der Cham-pions-League- und der Europa-League-Teilnahme und den Erlösen aus Spielerverkäufen ins Ausland stehen die Gelb-Schwarzen finanziell so gut da wie nie zuvor, doch auch sie sind auf Einnahmen angewiesen, weil die Reserven nicht unerschöpflich sind.
Pierre Benoit