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Sein neues Leben: Kinder hüten und Eishockeyspieler beraten

Wir erreichen Jonas Hiller während eines Besuchs im Zürcher Zoo, wo er zusammen mit seinen Kindern Affen, Tiger, Löwen, Giraffen und Elefanten bestaunt. Seit seinem Rücktritt vom Spitzen-Eishockey hat sich das Leben des Goalies komplett verändert.

Nicht mehr hartes Training, die Abwehrquote oder ein Shutout stehen im Vordergrund. Nein, das Leben des ehemaligen NHL-Stars bestimmen seine beiden Kinder und die «Swiss Ice Hockey Players’ Union», kurz SIHPU, die Vereinigung, welche die Interessen der Eishockeyspieler in der Nationalliga gegenüber dem Verband und anderen Institutionen innerhalb des Sports und der Politik vertritt. Jonas Hiller ist Präsident, im Vorstand findet man mit Marco Bührer, Marc Reichert, Martin Plüss, Ivo Rüthemann, Ramon Untersander, Philippe Furrer und Simon Bodenmann auch ehemalige und aktuelle Spieler des SCB. Die Funktion als Vorsitzender der SIHPU beschäftigte Jonas Hiller in den letzten Monaten stark – die Diskussion über die Aufstockung der Anzahl Ausländer sorgte hier und dort für rote Köpfe. Noch ist keine Lösung gefunden, doch die Ansicht des Präsidenten ist klar. «Das Schweizer Eishockey war bisher auch so erfolgreich, weil hier Top-Ausländer spielen, von deren Klasse die Schweizer profitieren und die auch Vorbilder für den Nachwuchs sind. Aber wenn plötzlich sieben Ausländer, möglicherweise von geringerer Qualität, erlaubt wären, wie sollen dann Schweizer im Powerplay oder Boxplay zum Einsatz kommen und diese speziellen Situationen an einer Weltmeisterschaft oder Olympischen Spielen beherrschen», stellt der Goalie eine berechtigte Frage in den Raum. Hiller hofft, «dass wir zusammen mit der Liga eine vernünftige Lösung finden werden».

Fast wie in Kalifornien

Dass aus dem Ostschweizer – Jonas Hiller ist Thurgauer, wurde im Kanton St. Gallen geboren und verbrachte den grössten Teil seiner Jugend im Kanton Appenzell Ausserrhoden – ein Berner geworden ist, hat einen einfachen Grund. «Da steckt, wie fast bei jedem wichtigen Entscheid, die Frau dahinter. Cherchez la femme», sagt Jonas Hiller mit einem breiten Lachen. Karolina Hiller, die am Wohlensee das Casa-Pilates-Studio (casapilates.ch) betreibt, ist Bernerin, und so lag es nahe, dass spätestens nach seiner Rückkehr in die Schweiz und dem Transfer zum EHC Biel das Wohnen im Bernbiet zum Thema wurde. «Ein See musste in der Nähe sein, und weil Murten- Thuner- oder Bielersee halt doch eine halbe Autostunde von Bern entfernt sind, entschieden wir uns für den Wohlensee – es war zweifellos eine gute Wahl», sagt Jonas Hiller. «Meine Frau hat hier in der Region einen grossen Bekanntenkreis und auch mir gefällt es hervorragend, wir sind schnell im Grünen, und von der Mentalität ist es fast ein wenig wie in Kalifornien. Alles etwas gemütlicher oder ‹laid back›, wie der Amerikaner sagen würde. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und schätze hier die Natur, aber auch die Nähe zu einer nicht allzu grossen Stadt.»

Ohne Draft in die NHL

Wer bei Jonas Hiller nach Höhepunkten seiner langen und schillernden Karriere fragt, stellt ihn vor Probleme, denn deren gibt es viele. Begonnen hat alles in Uzwil, wo die Familie Hiller neben der Eishalle wohnte. Die Eltern waren erfolgreiche Basketballer und sie wollten, dass sich auch die Söhne sportlich betätigen. Doch die Gebrüder Hiller zog es nicht zum Basketball, sondern zum Eishockey. Als Junior spielte der Goalie beim SC Herisau, von wo ihn der Torhüter-Trainer Marcel Kull bei seinem Wechsel zum HC Davos gleich mit ins Landwassertal nahm. Nach drei Meistertiteln und zwei Spengler Cup-Siegen zog der Ostschweizer, ohne jemals gedraftet worden zu sein, in die NHL und wurde dort zum Schweizer Goalie mit den meisten Einsätzen. 352 Mal stand Hiller für die Anaheim Ducks zwischen den Pfosten, 85 Mal für die Calgary Flames, er wurde für das All-Star-Game nominiert – verständlich, dass es nach einer solchen Karriere schwerfällt, einige Höhepunkte hervorzuheben. «Da gilt es sicher mein erstes Spiel mit Anaheim gegen die Los Angeles Kings zu erwähnen, das in London stattfand, den Outdoor-Match in Los Angeles vor 54000 Zuschauern, als mir beim 3:0 gegen die Kings ein Shutout gelang, das All-Star-Game, aber auch die Zeit in Davos und zuletzt in Biel möchte ich ebenso wenig missen wie die grossen Turniere mit der Nationalmannschaft.» Nach vier Olympiaturnieren, drei Weltmeisterschaften, neun Jahren in der National Hockey League und der Zeit in Davos und Biel sind jetzt die Jahre der enormen Belastung, die in jeder Partie auf den Schultern eines Eishockey-Goalies lastet, vorbei. Jonas Hiller geniesst das Leben mit seiner Familie und die Betreuung der Kinder am idyllischen Wohlensee. «Es ist schon so, dass die mentale Anspannung einen Goalie noch mehr belastet als die physische. Man geht in jedes Spiel mit dem Anspruch, keinen Fehler zu machen, was eine schwierige Aufgabe ist, doch mit der Zeit und der Erfahrung wird das Ganze auch zu einer Gewohnheitssache», sagt Jonas Hiller mit Blick auf den Wohlensee. Die Aussicht scheint ihm beinahe so viel Spass zu bereiten wie die Erinnerung an die 26 Shutouts in der NHL.

Pierre Benoit

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