Mit 6,51 Metern hält Daniela Schlatter aktuell den Schweizer Bestwert im Weitsprung. Doch: Möglich wurde diese Leistung erst, nachdem die Bernerin an ihrer Technik gefeilt hat.
Daniela Schlatter (27) arbeitet zu 100 Prozent als Marktmanagerin bei der SBB, schliesst in diesen Tagen ihr Betriebswirtschaftsstudium ab und trainiert zwischendruch Nachwuchssportler des TV Länggasse. Eine beeindruckende Liste, doch die junge Frau scheint dieses Mammutprogramm locker unter einen Hut zu bringen. Die Öffentlichkeit wurde erst in den letzten beiden Jahren auf die Weitspringerin aufmerksam – ihr Leistungssprung ist beachtlich. «Fachleute, die mich beobachteten, waren überrascht, dass man mit einer Absprungtechnik, wie ich sie anwendete, überhaupt weiter als fünf Meter springen kann. Statt den ganzen Fuss zu benutzen, sprang ich nur von den Zehenspitzen ab. Ein technischer Fehler, den ich nun in den letzten zwei Jahren korrigiert habe», so Daniela Schlatter. Die Steigerung blieb nicht aus. 6,51 m lautet ihre Bestweite, was gleichzeitig auch Schweizer Saisonbestleistung bedeutet.
Die Nervosität besiegt An den Schweizermeisterschaften startete sie als Favoritin. «Ich war extrem nervös, weil ich wusste, dass die Erwartungshaltung mir gegenüber hoch ist und ich mich an diesem Tag bestätigen muss.» Dass dies letztlich mit dem Sprung aufs oberste Treppchen glückte, erklärt die Bernerin so: «Für mich ist immer wichtig, dass einer der ersten drei Sprünge gültig ist und ich mich für die Entscheidung qualifizieren kann. Dies gelang mir bereits im ersten Versuch mit 6,24 m.» Doch dann geriet Daniela Schlatter trotzdem noch unter Druck. Vor ihrem letzten Sprung lag sie nur auf Platz 2, da Gaëlle Maonzambi von der GG Bern die gleiche Weite, aber den besseren zweiten Versuch aufwies. Die Landung in der Sandgrube bei 6,37 m bedeutete den Sieg und Lohn für die harte Arbeit. Daniela Schlatter trainierte auch während Corona hart – sieben Einheiten wöchentlich zu je 1 bis 2 Stunden, wobei ein normales Training nicht möglich war. «Wir legten das Schwergewicht auf Fitness, Sprünge über Hürden und auf den Schwedenbalken. Ein Schnelligkeitstraining wie sonst im Winter liess sich nicht durchführen.»
Das schnelle Fussgelenk
Begonnen hat Daniela Schlatter ihre Karriere schon früh beim LAC Wohlen. «Ich machte dort fast alles, doch am besten gefiel mir der kurze Hürdenlauf und der Weitsprung Die Leistungen stimmten, es machte Spass und man attestierte mir schon früh, dass ich über ein schnelles Fussgelenk verfüge.» Was also lag näher als der Weitsprung? Die Disziplin, in der sie zuletzt so grosse Fortschritte erzielt hat. «Der Fokus im Training lag auf Schnellkraft, Schrittverlängerung und Explosivität – Trainer Adrian Gubler, der beim TV Länggasse auch die Hürdenläufer trainiert, legte Wert auf die Details und feilte mit seiner Athletin, die gleichzeitig seine Freundin ist, ebenso am technischen Ablauf des Absprungs. «Nein, es ist kein Problem, dass mein Trainer auch mein Freund ist», sagt Daniela Schlatter mit einem Lächeln. «Mich zu trainieren, ist keine leichte Aufgabe, auch weil ich in den Wettkämpfen überaus nervös bin. Er ist mit mir sehr geduldig, aber auch recht ‹pingelig›. Zu Beginn liefen wir oft mehrere Stunden im Wald, um die Bewegungsabläufe beim Absprung zu verbessern.» Adrian Gubler trainierte selbst unter dem TVL-Leichtathletik-Urgestein Hans Kappeler und gibt das bei ihm Erlernte jetzt erfolgreich an seine Freundin und Athletin weiter.
Unterstützung? Fehlanzeige
Von Swiss Olympic und der Sporthilfe erhielt Daniela Schlatter bisher keinerlei finanzielle Hilfe. Fährt sie zu einem Meeting wie zuletzt die Mannschafts-Europameisterschaften in Rumänien oder mit dem TVL-Nachwuchs in eine Trainingswoche nach Tenero, schmilzt die Anzahl Ferientage wie Eis an der Sonne. Trotz der fehlenden Unterstützung hat Daniela Schlatter noch lange nicht genug. Experten attestieren ihr viel Luft nach oben. Der zehn Jahre alte Schweizer Rekord von Irene Pusterla liegt bei 6,84 m, der Sprung von Meta Antenen auf 6,73 m vor exakt 50 Jahren bedeutete Silber an den Europameisterschaften in Helsinki. Von diesen Weiten ist Schlatter derzeit noch ein wenig entfernt. Sie sagt denn auch: «Es wäre nicht realistisch, jetzt den Schweizerrekord verbessern zu wollen. Ich versuche einfach, mich weiter zu steigern, denn ich habe in allen Belangen noch Verbesserungspotenzial.»
Pierre Benoit