Wird er bei den Erwachsenen genauso reüssieren wie als Junior? Dies die Frage, welche sich Schweizer Tennisfans stellten, wenn vor Jahresfrist die Rede von Dominic Stricker war. Die Antwort: Er reüssierte nicht nur, er startete durch.
Tennisfachleute weisen immer wieder zu Recht darauf hin, dass Siege im Nachwuchs noch kein Garant für Erfolge bei den Erwachsenen sind. Auch nicht, wenn ein Junior mit der Referenz des Siegs am Junioren-Grand-Slam-Turnier von Roland Garros zu den Grossen stösst. Doch bei Dominic Stricker ist alles ein wenig anders. Nachdem er zu Jahresbeginn noch ein M15-Turnier in Trimbach und einen M25-Anlass in Grenoble bestritten hatte, begann am Challenger in Lugano sein Sturmlauf nach oben. Innert Wochenfrist schlug er fünf besser klassierte Gegner und halbierte sein ATP-Ranking von Rang 874 auf 425. «Der Sieg in Lugano ist im Rückblick der Höhepunkt des Jahres», sagt Dominic Stricker, auch wenn er danach an ATP-250er-Anlässen vier Top-100-Spieler schlug, darunter einen Grand-Slam-Sieger und einen Teilnehmer an den ATP Finals in Turin. Sein Coach Sven Swinnen unterstreicht die Wichtigkeit der Woche im Süden der Schweiz. «Dank der in Lugano gewonnenen ATP-Punkte konnte Dominic sofort Challengers bestreiten und musste nicht den mühevollen Umweg über die Futures gehen.»
Dem Druck auch im Davis Cup standgehalten
Nach dem Turniersieg in Lugano wurden nicht nur die Schweizer Medien, sondern auch die Turnierdirektoren auf den Linkshänder aus Grosshöchstetten aufmerksam. Wildcards in Genf, Stuttgart und Gstaad wurden dem Himmelsstürmer offeriert – und er nutzte die Chancen. Viertelfinal-Qualifikationen auf Sand in Genf (Siege über Marin Cilic und Marton Fucsovics) und auf Rasen in Stuttgart mit Erfolgen über Radu Albot und Hubert Hurkacz sowie an der Seite Marc-Andrea Hüslers der Gewinn der Doppelkonkurrenz in Gstaad sorgten für Aufsehen. Im Davis Cup vertraute der Schweizer Captain Severin Lüthi auf die Hochform des Berners und auch hier hielt der 19-Jährige dem Erwartungsdruck stand. Er gewann sein Einzel und das Doppel. «Für mich bedeutete es eine grosse Ehre, erstmals für die Schweiz antreten zu können, denn es war nicht selbstverständlich, dass ich als Neuling das Vertrauen erhielt. Ich kenne den Stellenwert des Davis Cups und hoffe, weiterhin Berücksichtigung zu finden», sagt Dominic Stricker.
Abflug kurz nach Weihnachten
Nach dem Saisonabschluss mit zwei Challengers in Italien leistete sich der «Aufsteiger des Jahres» ein freies Wochenende mit den Eltern und Schwester Michèle in Zermatt. «Auf die Ski wagte ich mich nicht, das überliess ich den anderen Familienmitgliedern, denn das Risiko einer Verletzung wollte ich nicht eingehen», so Stricker. Gleich am Montag danach stand bereits wieder die Vorbereitung auf die kommende Saison an. Beni Linder, der Headcoach Kondition bei Swiss Tennis, büffelte mit Dominic Stricker: «Wir arbeiteten intensiv Kraft, Beweglichkeit und Schnelligkeit – Beni Linder weiss, wie das gemacht wird.» Danach ging es zusammen mit Coach Sven Swinnen nach Oberhaching in der Nähe von München in den Stützpunkt des Deutschen Tennis Bunds, wo Trainings und Spiele gegen Philipp Kohlschreiber und Daniel Masur auf dem Programm standen, ehe bereits am 26. Dezember der Abflug in Richtung Melbourne erfolgte. Als Vorbereitung auf das Australian Open hat Dominic Stricker im Land der Kängurus noch das Challenger-Turnier in Traralgon bestritten, ehe die Reise nach Melbourne weiterging. Im 128er-Qualifikationsfeld muss er drei Spiele gewinnen und unter die letzten 16 gelangen, um einen Platz im Haupttableau zu ergattern.
Die Saisonziele 2022
Es liegt auf der Hand, dass sich Dominic Stricker und sein Coach Sven Swinnen im Hinblick auf das Tennisjahr 2022 neue Ziele gesteckt haben. «Gut spielen, mich ständig verbessern und im Ranking Richtung Platz 100 vorstossen», so etwa soll die nächste Saison verlaufen. Profitieren wird der Berner zweifellos erneut von Wildcards, die ihm die Schweizer Turniere in Gstaad, Genf und Basel offerieren werden. Verbessert er sein Ranking weiterhin, ist es auch möglich, dass er beim einen oder anderen Turnier der ATP-Kategorie 250 direkt im Haupttableau Aufnahme findet. Die ganze Tennis-Schweiz hofft auf Grosstaten des Berners, umso mehr, als dass Roger Federer und Stan Wawrinka nach wie vor nicht einsatzbereit sind.
Pierre Benoit