Am 11. Mai 2003 holte Spitzenschwinger Willy Graber (33) am «Emmentalischen» in Wasen seinen ersten Kranz. In der Zwischenzeit sind 99 weitere dazugekommen. Vorgestern, fast auf den Tag genau 15 Jahre später, feierte der Bolliger am «Emmentalischen» in Zollbrück Jubiläum mit Kranz Nummer 100.
Noch zwei Tage vor dem «Mittelländischen » hielt sich Willy Grabers Zuversicht in engen Grenzen. Im November hatte ihm Arzt Martin Rüegsegger das gerissene Kreuzband geflickt – eine gewisse Skepsis, ob am «Mittelländischen» vor der Haustüre das Knie mitspielen würde, war spürbar. Doch offensichtlich hatte «Rüeggi» perfekte Büez gemacht. Das Knie hielt – und wie. Schlussgang: gestellt, Kranz Nummer 99. Und frei nach Wilhelm Busch: «Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich», machte Willy Graber in Zollbrück die Hundert perfekt. «Die Vorbereitung war nicht so wie sonst, ich konnte lange nur reduziert trainieren», sagt Willy Graber, der zusammen mit Matthias Siegenthaler, Ruedi Roschi, Curdin Orlik, Bernhard Kämpf und einigen anderen die «Trainingsgruppe Michel Olivari» bildet. Drei bis vier Mal pro Woche, im Aufbau oft auch fünf Mal, wird unter den gestrengen Augen des Berner Physiotherapeuten und ehemaligen Spitzen-Tennisspielers trainiert – ein immenser Aufwand.
Der «Graber-Spezial»
Vor allem bei Willy Graber ist dies nicht selbstverständlich. Der 100-fache Kranzer ist im wahrsten Sinne des Wortes ein «Hansdampf in allen Gassen». Dachdecker mit einem 80-Prozent-Pensum, Landwirt, Schwinger und Familienvater. Im Juni werden Anna und Alisa ein Geschwister erhalten, Ehefrau Christine ist in freudiger Erwartung. Auf die Frage, wie er dies alles unter einen Hut bringe, muss der 33-Jährige nicht lange überlegen. «Ich habe eine grossartige Frau, das ist sehr viel wert, und auch meine Brüder packen zwischendurch mit an, wenn Not am Mann ist.» Mit 13 Jahren nahm Willy Graber erstmals an einem Buben-Schwinget teil, von da an ging es steil bergauf. Der «Graber-Spezial», ein von ihm perfektionierter Schwung, und die Bodenarbeit gelten als Spezialitäten des Familienvaters. Wer einmal am Boden ist, für den gibt es kein Entrinnen mehr. «Man muss einfach schnell nachgreifen, aber wenn ich einen Gegner einmal am Boden habe, ist es für mich wirklich pfannenfertig.» Das ist der Grund, dass alle Gegner diese Situation zu vermeiden suchen und die Flucht ergreifen und den Sägemehlring so schnell wie möglich verlassen, wenn die Gefahr eines Bodenkampfs naht.
Noch «schwing-süchtig»
Wenn Willy Graber in Gedanken die 15 Jahre und 100 Kränze Revue passieren lässt, kommen ihm verschiedene Feste spontan in den Sinn. «Da ist sicher einmal der erste Kranz in Wasen, als ich erst 19 war. Oder das Eidgenössische in Aarau 2007.» Dort grüsste Graber nach dem ersten Tag von Platz 1. «Nachts erwachte ich schweissgebadet und fand einfach keine Ruhe.» Willy Graber hat auch zwei Mal das «Kantonale» und das «Mittelländische» gewonnen, eine erstaunliche Bilanz für einen, der als Schwinger leicht und klein ist, diese Nachteile aber immer wieder mit Technik, Kampf und einer perfekten Einstellung und mentalen Stärke wettmacht. Wie viele Kränze sich noch zu den 100 bereits erschwungenen gesellen werden, steht in den Sternen. Noch hat sich der vierfache Eidgenosse nicht entschieden, ob er nach dieser Saison eine weitere anhängen wird, obwohl im kommenden Jahr in Zug die Chance auf den fünften eidgenössischen Kranz winkt. «Ob vier- oder fünffacher Eidgenosse, ist nicht so wichtig. Ich werde Ende Saison entscheiden, ob ich bereit bin, nochmals eine Saison anzuhängen und den ganzen Aufwand auf mich zu nehmen. Momentan bin ich noch ‹schwing-süchtig›, gehe mit grosser Freude an jedes Training, aber vielleicht werden die Prioritäten nächstes Jahr anders gelegt.»
Pierre Benoit