SCB-Stürmer Gregory Sciaroni spielt zum ersten Mal seit neun Saisons nicht mehr auf dem Planeten Davos. Das ist schwieriger, als er es sich im ersten Moment vorgestellt hat.
2009 hatte Gregory Sciaroni seinen Stammklub Ambrì-Piotta verlassen, um sich in Davos zum Hockeyspieler ausbilden zu lassen. Was damals als Abenteuer eines 20-jährigen Draufgängers begann, hat sich zu einem Lebensabschnitt entwickelt, der satte neun Jahre dauerte. Neun Jahre, die den Stürmer als Spieler und Mensch geprägt haben und die dem, was jüngst im Landwassertal passiert ist, eine andere Bedeutung zukommen lassen. «Trainerentlassungen gibt es immer wieder. Aber das? 22 Jahre? Das hätte ich nicht geglaubt», sagt Gregory Sciaroni und legt seine Gabel zur Seite. Das Geschehen in den Bündner Bergen – es geht ihn, der nun hier als Spieler des SC Bern im Restaurant der PostFinance-Arena sitzt, nichts an. Und dennoch lässt es ihn nicht kalt. Er schüttelt den Kopf. «Neun Jahre habe ich bei Arno Del Curto gespielt. Das ist länger, als manch eine Profi-Karriere dauert. Und ich habe nicht einmal die Hälfte seiner Zeit als HCD-Trainer miterlebt. Wahnsinn. Davos ohne Del Curto? Das ist doch nur komisch.» Sciaroni ohne Del Curto? Auch das war am Anfang komisch. Das gibt der 29-Jährige ohne Umschweife zu. Der Flügel hat seinen Platz in der SCB-Aufstellung noch nicht richtig gefunden, aktuell kämpft er vor allem noch darum, sich einen Stammplatz zu sichern. Die drei Spielsperren, die er wegen eines Kniestichs gegen Biel-Verteidiger Sämi Kreis aus Davos mitgebracht hatte, waren nicht hilfreich. Genauso wenig wie die sechs, die er sich in seiner ersten Partie danach einhandelte, als er Lakers-Verteidiger Timo Helbling gegen den Kopf checkte. Doch es war nicht nur das: «Wenn du neun Jahre in einem System gespielt hast, ist vieles in dir drin, das du ändern musst. Das braucht Zeit», erklärt er. Um nachzuschieben: «Ich will das nicht als Ausrede verstanden wissen.»
Noch einmal ein Top-Verein
Dieser letzte Zusatz ist Gregory Sciaroni wichtig. Schliesslich hatte er sich für diesen Wechsel entschieden. Nicht, weil es zwischen ihm und Arno Del Curto nicht mehr passte oder er gar eine Vorahnung davon gehabt hätte, was den Davosern in dieser Saison bevorstehen würde. Vielmehr seien es «1000 andere Dinge» gewesen, die ihn bewogen hatten, sich auf einen neuen Arbeitgeber einzulassen. Eines der grösseren dieser «anderen Dinge» war die Möglichkeit, sich einem Top-Verein anzuschliessen. «Es war für uns immer schwierig gegen den SCB. In Bern haben wir nicht oft gewonnen. Der SCB kombinierte Technik, Physis und System wie kein anderer Klub», sagt er. Und: «Zum Schluss war ich ein Routinier an einem Ort, an dem ich fast meine ganze Profi-Karriere gewesen bin. Es mag schräg klingen, aber vielleicht habe ich die Situation, in der ich mich befinde, gesucht: nochmals von vorne anfangen, sich zeigen, aufdrängen, durchkämpfen.» Nun, mit dem Kämpfen kennt sich der zweifache Familienvater aus. Lange war in seiner Karriere alles reibungslos gelaufen. Der Bellenzer galt in Ambrì als Talent, spielte im starken Jahrgang 1989 alle wichtigen Junioren-WM-Turniere, entwickelte sich in Davos zu einem Nationalspieler und gewann 2011 einen Meistertitel. Vor allem aber fand er seine Rolle als kräftiger Energiespieler. Fakt ist: Als er sich im Oktober 2013 das Sprunggelenk verletzte, geriet er in einen Strudel, der seine Kräfte absorbierte. Nicht, dass sich Sciaroni mit Abnutzungsproblemen hätte herumschlagen müssen. Doch das Muster glich sich: Verletzung, Regeneration, Zurückkämpfen, Comeback, Verletzung. Unter dem Strich sollte er bis zum Ende seiner Zeit in Davos über fünf Saisons hinweg 126 Meisterschaftspartien verpassen. Zwei schwere Blessuren, eine Handverletzung und eine Gehirnerschütterung, die er sich am 30. Dezember 2015 und am 30. Dezember 2016 jeweils im Spengler-Cup-Halbfinal im Fokus der nationalen TV-Kameras zugezogen hatte, brachten ihn zum Schluss sogar so weit, dass er sich die Frage stellte, ob er mit dem Eishockey weitermachen sollte.
Auf einem schmalen Grat
Gregory Sciaroni kämpfte sich zurück. Doch die Unbeschwertheit wiederzufinden, den Kopf frei zu kriegen, ist angesichts dieser Vorgeschichte kein einfaches Unterfangen. Insbesondere für einen Spieler wie ihn, der mit seinem physischen und energiegeladenen Stil auf einem schmalen Grat wandert.
Ein Gastbeitrag von Matthias Müller, SLAPSHOT