Vor acht Tagen ging eine beeindruckende Handball-Karriere zu Ende. Als Gast bei Hannover-Burgdorf läuft der Berner Alen Milosevic mit seinen Leipzigern zum letzten Mal ein.
Bereits am Donnerstag, anlässlich des letzten Heimspiels des SC DHfK (Sport Club Deutsche Hochschule für Körperkultur, ein Überbleibsel aus vergangenen DDR-Zeiten) Leipzig, wird der Kapitän des Teams vor dem Lokalderby gegen den SC Magdeburg in der mit 8000 Zuschauern ausverkauften Quarterback Immobilien-Arena gebührend verabschiedet – und sein Trikot mit der Nummer 34 ins Hallendach gezogen.
Am Sonntag in Hannover war nun endgültig Schluss. Gerne hätten es die Verantwortlichen des 1954 gegründeten Bundesligisten gesehen, hätte ihr Captain noch ein paar Jahre weitergespielt. «Doch das wollte ich nicht», sagt der Kreisläufer, der in der Schweiz für Wacker Thun und den BSV und 60 Mal für die Nationalmannschaft gespielt hat. «Ich stellte mir die Frage, wann reicht es – und bin überzeugt, nach reiflichem Überlegen die richtige Entscheidung gefällt zu haben, auch wenn mir diese nicht leichtgefallen ist. Aber klar ist: Stehe ich am Morgen auf, zwickt es hier und klemmt es dort – ich will nicht, dass man mich dereinst auf der Bahre aus der Halle tragen muss und möchte später auch einmal mit meinen Kindern im Garten Fussball spielen können. Deshalb bestimme ich selbst, wann Schluss ist.»
Ein grosses Kompliment erhält Milosevic von einem, der weiss, wie hart Bundesliga-Handball ist. Marc Baumgartner spielte neun Jahre für den TBV Lemgo und schoss im Nationalteam mehr als 1000 Tore. «Neun Jahre auf diesem Niveau, da kann ich Alen nur gratulieren.»
Das harte Leben als Kreisläufer
Kreisläufer ist im ohnehin harten Handballsport wohl die Position, auf welcher ein Spieler am meisten leiden muss. Es gilt einerseits, die Gegner zu beschäftigen, damit die eigenen Rückraumspieler mehr Raum für ihre Geschosse aus dem Hinterhalt bekommen – andererseits aber auch, hellwach zu sein, um am Kreis angespielt zu werden und mit List oder einem Sprungwurf selbst Tore zu erzielen.
Diese Aufgabe erfüllte der Berner hervorragend und so wurden aus einem geplanten dreimonatigen Abenteuer schliesslich neun Jahre. «In Leipzig fielen damals beide Kreisläufer aus, so dass man mich anfragte, ob ich nicht Lust hätte, während dieser Zeit auszuhelfen. Ich sagte zu und blieb schliesslich neun Jahre – ein Entscheid, den ich nie bereut habe. Der Aufstieg in die 1. Bundesliga und die Teilnahme am ‹Final Four› waren die Höhepunkte
einer grossartigen Zeit, die ich in Leipzig erleben durfte.»
Seit vier Jahren ist Alen Milosevic Captain des Teams. In Deutschland eine grosse Ehre für einen Spieler mit ausländischen Wurzeln. «Ich hatte die Mannschaft oft bei Sponsorenanlässen zu repräsentieren, war Bindeglied zwischen Team, Trainern, Vorstand und Geschäftsleitung – ich war in viele Entscheidungen eingebunden, doch ich übernahm diese Aufgaben mit Freude und Engagement», blickt der in Leipzig hochangesehene «Spielführer» auf die schöne Zeit in der Bundesliga zurück.
Handball in der Schweiz und in Deutschland, das sind sozusagen zwei verschiedene Sportarten. Während hierzulande selten mehr als 1000 Unentwegte die Spiele verfolgen, herrscht in Deutschland eine grossartige Stimmung in meist ausverkauften Hallen. «Professionalität im Team und im Umfeld und in der Infrastruktur, Kraft, Schnelligkeit und auch Dynamik zeichnen den Bundesliga-Handball aus. In der Schweiz sind lange nicht alle Spieler Profis und haben deshalb nicht die gleichen Möglichkeiten wie wir in Deutschland», sagte Alen Milosevic vor drei Jahren in einem Gespräch mit dem Bärnerbär. Daran hat sich leider nur wenig geändert.
Jetzt das Leben geniessen
Vorerst will Alen Milosevic einmal nach mehr als einem Jahrzehnt Spitzensport und vielen Entbehrungen das Leben geniessen. «Zusammen mit meiner Frau Andrea werde ich die Welt bereisen und dann werden wir uns entscheiden, wo das Leben weitergehen wird.» Bern und Leipzig sind zwar möglich, doch die Milosevics suchen einen Ort, «wo 300 Tage im Jahr die Sonne scheint. Zypern, Korsika, Madeira – vieles ist denkbar», sagt der Athlet mit den Gardemassen (191 cm, 110 Kilo), der sehr viel in seine Karriere investiert und grosse Entbehrungen auf sich genommen hat. Jetzt will er am Morgen ohne Schmerzen aufwachen und vorerst einmal die Ruhe nach dem Sturm geniessen.
Dass Alen Milosevic Handballer wurde, ist kein Zufall: Der kleine Lederball wurde ihm praktisch in die Wiege gelegt. Vater Alex war U21-Weltmeister mit Jugoslawien, spielte als Profi in den obersten Ligen in Jugoslawien, Spanien und der Schweiz und ist heute Trainer, von 2010-2013 war er auch Cheftrainer des BSV. Auch der jüngere Bruder Renato liess sich vom Virus infizieren, war Goalie im Fanionteam des BSV, ehe er aus beruflichen Gründen schon früh zurücktrat.
Pierre Benoit